Online-Besichtigungen zeigen, wer wirklich Interesse am Kauf einer Liegenschaft hat. Am Ende muss man sich aufs Bauchgefühl verlassen, sagt der Makler Claude Ginesta
Residence: Sie haben vor einiger Zeit versucht, die Folgen von Corona einzuordnen. Stimmen Ihre Schlüsse auch noch nach dem zweiten Lockdown? Was sehen Sie heute anders oder allenfalls differenzierter?
Claude Ginesta: Während des ersten Lockdowns war eine grosse Unsicherheit zu spüren, die Aktienmärkte korrigierten stark und die langfristigen Zinsen stiegen plötzlich an. Mittlerweile aber hat sich gezeigt, dass Immobilienmärkte und Aktienmärkte von Corona eher profitieren, weshalb der Handel sich stark belebt hat. Bei den Immobilien führte das zu steigenden Preisen, was sich inzwischen auch in den Auswertungen der Transaktionsdaten spiegelt.
Mehr Platz, mehr Grün, Lage weniger wichtig: Die Wohnbedürfnisse verändern sich. Was bedeutet das für Angebot und Nachfrage?
Die Leute haben relativ schnell ihre Platzbedürfnisse und ihre Feriengewohnheiten neu sortiert. Das sehen wir in einer erhöhten Nachfrage nach grösseren Wohnungen und besonders auch nach Ferienobjekten. Und ich denke nicht, dass die Lage weniger wichtig geworden ist und kann auch noch keinen Trend feststellen, der aus der Stadt ins Grüne geht. Denn auch Stadtwohnungen werden nach wie vor stark nachgefragt. Man muss bei erhöhtem Platzbedarf einfach an günstigere Lagen in die Agglomeration oder aufs Land ziehen, da die Preise überall um mindestens 5 bis 10% angestiegen sind. So ist es meist nur die Preisfrage, die die Leute zwingt, weitere Distanzen in Kauf zu nehmen.
Vor allem Einfamilienhäuser werden wieder beliebter, die Preise ziehen hier besonders an. Was erwarten Sie für dieses Segment in den kommenden Monaten und Jahren?
Einfamilienhäuser werden immer mehr zum seltenen Gut. Das sagen wir bereits seit zehn Jahren und es wird in Zukunft noch weniger Einfamilienhäuser geben. Entsprechend verhalten sich die Preise so wie in jedem Markt mit Verknappung: Sie steigen.
Die Senioren bleiben länger in ihren Eigenheimen, viele wollen nicht in ein Heim. Ihre Häuser gelangen nicht oder erst später auf den Markt. Wird das Angebot knapp bleiben?
Ich kann mir gut vorstellen, dass ältere Menschen in der derzeitigen Situation kein Interesse daran haben, in ein Altersheim zu ziehen. Eher werden sie mit allen Mitteln wie privaten Spitex-Diensten und zusätzlicher Hilfe im Haushalt versuchen, in ihren Häusern zu bleiben. Dazu haben wir aber keine gesicherten Daten. Bereits seit einigen Jahren ist auf jeden Fall erkennbar, dass der Eintritt in ein Altersheim in immer höherem Alter erfolgt und fast nur noch Pflegebedürftige in Altersheime gehen. Der Aufenthalt ist dann kürzer. Ich vermute, Corona wird diese Tendenz noch verstärken, was auch die Heime spüren werden. Daraus resultiert kurzfristig eine Knappheit.
Ihre Arbeit als Makler hat sich in der Pandemie verändert. Was ist anders geworden?
Wir haben die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt und mehr virtuelle Besichtigungen durchgeführt. Wir sehen aber auch, dass die Technik ihre Grenzen hat – der Duft fehlt, die Geräusche, das Bauchgefühl – und die Besichtigung einer Liegenschaft vor Ort ist nach wie vor gewünscht. Wir verzeichnen eher weniger Besichtigungen, diese aber mit konkreteren Interessen.
Sie bieten, nicht nur für Kunden aus dem Ausland, sogenanntes Home Hunting an, die Suche nach speziellen Objekten. Wie lange dauert es, bis man sein Traumhaus findet?
Als Immobilienexperte habe ich selbst vier Jahre gesucht, bis ich mein Traumhaus an der Goldküste gefunden habe. Wir begleiten oft Kunden, die längere Zeit auf der Suche sind und das wird sich wegen des knappen Angebotes wohl auch in Zukunft nicht ändern. Es gibt stets drei mögliche Kompromisse, die man bereit sein sollte, einzugehen: beim Preis, bei der Lage oder bei der Objektart.
Gerade für Angebote, die sich an ein kleines, weit verstreutes Publikum wendet, sind Online-Besichtigungen eine Alternative zum persönlichen Augenschein geworden. Welche Perspektive bietet die Technik?
Mit der Technologie lässt sich zwischen interessierten und sehr stark interessierten Kaufinteressenten trennen. So ersparen wir uns viele physische Besichtigungen, die mit grösster Wahrscheinlichkeit vergeblich wären. Aufgrund der sehr hohen Nachfrage führen wir pro Objekt weiterhin im Durchschnitt 20 bis 25 Besichtigungen durch. Es wird also immer noch sehr viel Zeit mit Interessenten verbracht, die dann nicht kaufen. Die Technik kann uns hier eine gewisse Vorselektion abnehmen, ohne diese wären es wohl derzeit noch mehr.
Die Vermittlung von Immobilien verlagert sich seit längerem ins Digitale. Hat sich dieser Trend zuletzt deutlich akzentuiert? Wo spüren Sie die Chancen, wo die Grenzen?
Ich glaube, dieser Trend ist schon viel länger im Gange. Im nächsten Schritt werden wir Lösungen mit künstlicher Intelligenz sehen, von denen wir uns erhoffen, dass die Systeme in Zukunft besser lernen und erkennen, was Kunden suchen. Das wird sowohl auf den Marktplätzen wie auch in den Maklertools einen innovativen Quantensprung bedeuten und für alle Beteiligten zu mehr Effizienz führen.
Eines Ihrer regionalen Geschäftsfelder ist die Ferienecke der Schweiz, Graubünden: Wie entwickelt sich der Markt im Engadin und im übrigen Kantonsgebiet?
Wir haben besondere Freude an unserer Niederlassung in St. Moritz, die in diesem Winter eine sehr hohe Frequenz hatte. Es wurden viele Liegenschaften nachgefragt und veräussert. Die Ferienregion Engadin profitierte also von der Corona-Situation. Doch auch im übrigen Kantonsgebiet, vor allem in den Regionen Laax/Flims, Arosa/Lenzerheide und Davos/Klosters, haben wir eine hohe Nachfrage verspürt und konnten entsprechend viele Verkäufe begleiten.
Über eine Kooperation mit den Leading Real Estate Companies of the World sind sie auch im Ausland tätig. Wer kauft derzeit überhaupt etwas in Italien oder Mallorca?
Die Märkte in Italien, insbesondere in Norditalien, sind nach wie vor intakt. Käufern aus der Schweiz und aus Deutschland haben Interesse. In Mallorca hingegen verspürt man aufgrund der Flugrestriktionen Probleme. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Markt erst im Sommer oder Herbst diesen Jahres wieder beleben wird.
Die Preise für Mehrfamilienhäuser steigen, die Renditen sinken. Das Bedürfnis von Privatanlegern, in Immobilien zu investieren, hält an. Worauf müssen sie achten?
Es stimmt, dass die Renditen nochmals gesunken sind. Allerdings liegt der «Spread», die Differenz zwischen einer risikolosen Anlage und der Nettorendite von Renditeliegenschaften wie vor zehn Jahren bei zirka 2%. Damit lässt sich weiterhin eine gute, wenn auch tiefe Anlagerendite rechtfertigen.
Interview: David Strohm, NZZ Residence
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