Das ist Pech. Ein Wasserrohr ist geborsten. Unübersehbar. Der Putz bröckelt von der Stuckdecke im ersten Stock. Der edle Parkettboden ist aufgeschwemmt und schwarzgefärbt. Immerhin hat es offenkundig nur zwei der 22 Zimmer erwischt. Der Schaden lässt sich beheben. Ein Lufttrockner hat bereits mit der Vorarbeit begonnen. Aber klar: Bei den Interessenten macht das nicht den besten Eindruck. Schließlich soll ein Käufer tief in die Tasche greifen für Schloss Eugensberg. So heißt das Anwesen am Schweizer Südufer des zum Bodensee gehörenden Untersees, das Prinz Eugene de Beauharnais, ein Stiefsohn Napoleon Bonapartes und einst Vizekönig von Italien, zu Beginn des 19. Jahrhunderts bauen ließ.
Der klassizistische Bau soll mitsamt eines Gutshofs, eines Badehauses sowie Wäldern und weiteren Nebenhäusern mindestens 35 Millionen Franken bringen. Das entspricht 30 Millionen Euro. Doch damit ist es nicht getan. Wer in der Rolle des Schlossherrn seinen Blick über den See und die nahe gelegene Insel Reichenau schweifen lassen und in dem 32 Meter langen und 26 Meter breiten Pool planschen will, der muss viele weitere Millionen in Renovierung und Umbau stecken. Denn die vorherigen Besitzer haben länger nichts investiert und zum Teil merkwürdige Spuren hinterlassen.
Das gilt insbesondere für die Familie Erb, die Schloss Eugensberg und das 81 Hektar große Terrain 1990 über ihre Firma Hugo Erb AG erworben hatte. Sie zählten einst zu den reichsten Clans der Schweiz. Die 1953 von seinem Vater geerbte Autowerkstatt in Winterthur baute Hugo Erb junior binnen weniger Jahre zu einem Milliardenimperium aus. Mit dem Import verschiedener Automarken, mit Fenster-, Türen- und Küchenbau, Holz- und Kaffeehandel sowie allerlei Finanzgeschäften erwirtschaftete die Gruppe zu Spitzenzeiten einen Jahresumsatz von fast fünf Milliarden Franken. Doch 2003 brach das Gebilde überraschend zusammen. Zurück blieb ein Schuldenberg von 2,4 Milliarden Franken. Es war der zweitgrößte Konkurs in der Geschichte der Schweiz nach der Pleite der Swissair.
Der Zusammenbruch hatte ein juristisches Nachspiel. Hugo Erbs Sohn Rolf, der allmählich in die Schuhe seines Vaters geschlüpft war, wurde 2012 zu acht fahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Richter am Bezirksgericht Winterthur sah es als erwiesen an, dass sich der Firmenerbe des gewerbsmäßigen Betrugs, der Urkundenfälschung und der Gläubigerschädigung schuldig gemacht hatte. Dabei habe Erb „ein großes Maß an krimineller Energie" an den Tag gelegt, urteilte der Richter seinerzeit. Erb habe über Jahre hinweg die Bilanzen geschönt und so die Überschuldung verschleiert.
Sein geliebtes Schloss am Bodensee hatte Rolf Erb durch einen Trick lange Zeit vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt: Kurz vor der Pleite überschrieb er das Anwesen seinen damals zehn Monate alten Zwillingssöhnen. Nach etlichen juristischen Schleifen und mehreren Berufungsverfahren sollte Erb im Frühjahr 20 I 7 endlich seine Haftstrafe antreten. Doch kurz davor starb der Pleitier. Er wurde 65 Jahre alt. Die anfängliche Vermutung, er habe sich aus Verzweiflung im Schloss das Leben genommen, bestätigte sich nicht. Die Obduktion ergab, dass er einem Herzleiden erlegen war.
"Wo immer Sie hinschauen, es gehört Ihnen"
Erbs Geist ist in dessen ehemaliger Herberge freilich weiterhin zu spüren. Es ist der Geist einer Familie, die - ganz unschweizerisch - demonstrieren wollte, wie reich sie ist. Im marmornen Hauptbad sprudelt das Wasser aus goldglänzenden Wasserhähnen in der Form von Schwanenhälsen. Kronleuchter überall. Ein Seitenanbau, Orangerie genannt, bricht mit seinen kalten Marmorfliesen und zahlreichen barocken Verzierungen mit dem klassizistischen Stil des Gesamtensembles. Manche Räume strahlen mit ihrer hübsch verzierten und gut erhaltenen Holzvertäfelung an Decke und Wänden Wärme und Behaglichkeit aus, doch die Erbs haben sie zum Teil mit unpassenden Einbauten verunstaltet. Dazu gehören Kamin-Imitate und barocke Blumengeflechte. Der Begriff „stilecht" war für die Familie offenkundig ein Fremdwort. Immerhin hielten auf diese Weise auch ein paar praktische Dinge Einzug. Ein Fahrstuhl zum Beispiel, der bis in den dritten Stock führt. Wenn er denn führt. Im Moment ist er defekt. Ein Käufer wird vermutlich so manche Geschmacksverirrung korrigieren wollen, wobei er aber stets die Denkmalschützer im Nacken haben wird.
Das offensichtlichste Zeichen für das Großmannsgehabe der Erbs ist das überdimensionierte Schwimmbecken. Die 3300 Kubikmeter Wasser, die dafür benötigt werden, stammen aus einer eigenen Quelle und können im Fall eines Feuerausbruchs als Löschwasser genutzt werden, wie Claude Ginesta erläutert. Er ist der Immobilienmakler, den der Konkursverwalter beauftragt hat, einen Käufer für Schloss Eugensberg zu finden. Er hat nach eigenem Bekunden schon mehrere Schlösser verkauft, allerdings noch nie ein derart großes Anwesen. "Das Schöne ist: Wo immer Sie hinschauen, es gehört Ihnen", sagt Ginesta und führt den Rundumblick vor, den man von einem Pavillon jenseits des Schwimmbads, genannt „Gloriette", genießen kann. Und beim Spaziergang durch den englischen Landschaftsgarten erzählt er von Rehen und Wildschweinen, die sich dort zu Hause fühlten. Wie zum Beweis kreuzt ein Rehkitz den an manchen Stellen schon pflanzen überwucherten Pfad.
Wem das ganze Grundstück mit seiner Fläche von insgesamt 113 Fußballfeldern dann aber doch etwas zu groß ist, der kann auch kleinere Teile davon kaufen. Zum Beispiel den Gutshof mit Melkerhaus für 3,6 Millionen Franken oder das Badehaus am Seeufer für eine Million. Das Schloss selbst schlägt samt Parzelle und Mobiliar mit mindestens 25 Millionen Franken zu Buche.
„Es gibt Interessenten aus dem In- und Ausland", sagt Ginesta, ohne sich näher zu deren Zahl und Herkunft äußern zu wollen. Als Käufer kommen nach seiner Einschätzung am ehesten vermögende Schweizer aus der Region in Frage, dazu Schlossliebhaber aus aller Welt, pauschalbesteuerte Ausländer oder Unternehmen. Letztere könnten das Schloss als Schulungszentrum oder für Empfange nutzen. Die überaus günstige Pauschalbesteuerung gilt für reiche Ausländer, die zwar ihren Wohnsitz im Kanton Thurgau haben, wo das Schloss steht, dort aber nicht arbeiten. Sebastian Vettel wäre so ein Kandidat. Der deutsche Rennfahrer hat aber bereits ein großes Haus im Thurgau, eine umgebaute alte Mühle.
Ideal ist Schloss Eugensberg auf jeden Fall für Vielreisende. Das wusste schon Rolf Erb. Als er noch aus dem Vollen schöpfen konnte, hat sich der Unternehmer gern vom Flughafen Zürich aus per Hubschrauber nach Hause bringen lassen. Weil die Nachbarn weit genug entfernt sind, durfte der Heli stets direkt im Garten landen. Wie praktisch.
Von Johannes Ritter, Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
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