Wohin geht die Immobilienreise?

Eine Einordnung von Claude Ginesta

 

Ein Krieg auf unserem Kontinent mit bis anhin bald 50 000 Flüchtenden in unserem Land mit Wohnbedarf, fehlende oder deutlich teurere Bauprodukte und -rohstoffe wegen der chinesischen No-Covid-Strategie und steigender Energie- und Transportpreise rund um den Globus, täglich Meldungen über hohe Inflationsraten in unseren Nachbarländern, ein von der US-Notenbank gestarteter Anstieg der Zinsen und erst kürzlich angestiegene Hypozinsen in der Schweiz. Da kann durchaus ein mulmiges Grundgefühl für die Zukunft aufkommen. Lesen Sie hier, wie wir diese und noch weitere Entwicklungen einordnen.

Die Inflation ist im Anmarsch

Lange hat man in den USA und im Euroraum von einer temporären Inflation infolge hoher Treibstoffpreise gesprochen. Doch nun ist sie da und schlägt mit 6 bis 8 Prozent pro Jahr enorme Wellen. Die Notenbanken, deren wichtigstes Ziel die Preisstabilität und damit die Bekämpfung der Inflation ist, haben entsprechend reagiert: Die grösste Zinserhöhung seit 22 Jahren wurde beschlossen und weitere Zinsschritte werden folgen.

In den USA, in denen aktuell theoretisch zwei offene Stellen auf eine arbeitslose Person kommen, werden darum in Kombination mit der Zinserhöhung die Löhne stark ansteigen. Zu diesem ausgetrockneten Arbeitsmarkt fehlt es an Rohstoffen und auch die hohen Energiepreise sind nicht nur temporärer Natur.

Insgesamt global gesehen keine rosigen Aussichten. Doch was bedeutet das alles für die Schweiz?

Die Baustoffkostenteuerung wird auf 8 bis 10 Prozent geschätzt. Die Arbeitskosten sind im Moment noch nicht gestiegen, obschon diese Arbeitsgattungen alle gut ausgelastet sind. So wird der Preis für Arbeit auch bei uns in absehbarer Zeit höher werden und die Treibstoffpreise sind weiterhin hoch. Entsprechend hat das SECO die Teuerungsprognose für 2022 jetzt auf 1,9% erhöht.

Die Schweizerische Nationalbank ist in der Haltung noch abwartend, da folgt man den deutlich erhöhten Zinsen im Ausland noch nicht, da dies zu einer Abschwächung des Frankens führen würde. Es wäre aber falsch, hier naiv zu glauben, das könne sich nicht ändern, wenn sich auch die Teuerung bei uns wie im Ausland deutlicher erhöht. Dann wird die SNB das Gleiche tun wie die Amerikanische Notenbank und ihr Hauptziel verfolgen, indem sie der Preisstabilität alles andere unterordnet.

Die Zinsen werden steigen, wenn Inflation vorhanden ist

Die NZZ hat die aktuellen Entwicklungen kürzlich in einem umfangreichen Artikel hervorragend zusammengefasst und darin auch eine Warnung an Anleger versteckt: «Don’t fight the fed.»

So wird auch die Schweizerische Nationalbank die Zinsen erhöhen, wenn die Inflation bekämpft werden muss, auch wenn wir uns alle keine hohen Zinsen leisten können. Denn die Welt und vor allem die Volkswirtschaften sind bereits stark verschuldet. Da diese nominellen Beträge aber nicht teuerungsbedingt steigen, hilft natürlich die Inflation bei der Rückzahlung der Schulden. So hat in dieser Situation eine Zinserhöhung beziehungsweise eine vorgelagerte Inflation auch ihr Gutes.

Das gilt in der Konsequenz natürlich auch für Immobilien, die in der Schweiz zu 50 bis 60 Prozent mit Hypotheken belehnt sind.

Steigende Zinsen werden auch die Kapitalisierungssätze bei Renditeliegenschaften erhöhen, wobei Geschäftsliegenschaften mit üblicherweise vollständig inflationsgebundenen Mietverträgen weniger betroffen sind als Wohnliegenschaften. So steigen bei diesen die Erträge rasch an und kommt es nicht zu einer Rezession mit weniger Bedarf an Mietflächen, bleiben diese Anlagen trotz steigender Zinsen attraktiv. Etwas anders sieht die Rechnung bei Wohn-Renditeliegenschaften aus, da die Teuerung meist nur zu 40 Prozent und durch den der Entwicklung hinterherhinkendem Referenzzinssatz erst mit einer Verzögerung von drei bis vier Jahren weitergegeben werden kann.

Für viele Eigentümer gibt es einen Lichtpunkt: 90% der Immobilienbesitzer haben ihre Hypotheken fest auf fünf bis zehn Jahre abgeschlossen und sie alle sind nicht unmittelbar von Zinserhöhungen betroffen. Das Thema bleibt aber kritisch, da die Haltekosten einer Liegenschaft langfristig doch deutlich höher zu werden drohen.

Insgesamt kann aber gesagt werden, dass allzu grosse Sorgen an der Zinsfront derzeit nicht nötig sind. Die Inflation scheint unter Kontrolle und die Schweiz würde von einer Abschwächung des Frankens auch profitieren. Denn das ist eine gute Gelegenheit, unsere immens hohen Fremdwährungsreserven abzubauen. Ohne Auftrag hat die SNB nämlich faktisch einen «Staatsfonds» mit 1‘100 Milliarden Franken in Devisen aufgebaut – ein Devisenberg so hoch wie der komplette Hypothekarmarkt der gesamten Schweiz.

Entsprechend wird sich die sprunghafte Entwicklung der letzten zwei Monate nicht im selben Ausmass fortsetzen. Vor allem auch, da die Leitzinsen in der Schweiz noch nicht angepasst wurden.

Langfristig gilt aber sicher für alle, wieder ein höheres Augenmerk auf die Finanzierungsstrategie zu werfen, als dies im über Jahre anhaltenden Niedrigzinsumfeld der letzten Jahre der Fall war.

Die Börse ist in Bewegung gekommen

Aktuell ist die Börse turbulent und gewisse Segmente wie Technologiewerte in den USA zeigen starke Abwärtstendenzen. Erstaunlich dabei ist, wie gut deren Unternehmensabschlüsse sind und nach wie vor Geld verdient wird. So kann nicht von einer grundsätzlich negativen Börsenstimmung gesprochen werden.

Was aber klar ist: Starke Verwerfungen an der Börse haben direkten Einfluss auf den Immobilienmarkt, da Käufer von Immobilien ihr Eigenkapital oft und nicht zuletzt wegen der Negativzinsen direkt oder indirekt in Aktien halten. Sinkt der Wert des an der Börse angelegten Geldes, steht weniger Geld zum Kauf von Eigentum zur Verfügung.

Die vier wichtigsten Faktoren für eine Trendbestimmung im Immobilienmarkt sind die Inflation, die Zinsen, das Börsengeschehen und die Angebot-und-Nachfrage-Situation.

Die Angebot-und-Nachfrage-Situation

Die Bevölkerungszunahme in der Schweiz und weltweit ist anhaltend. Sie kann als Konstante mit exponentieller Entwicklung nicht weggeredet werden. Aktuell verzeichnen wir mit einem sprunghaften Anstieg von Flüchtlingen aus der Ukraine noch zusätzlich einen erhöhten Bedarf an Wohnraum.

Auf der anderen Seite läuft die Erstellung von neuem Wohnraum aufgrund vieler Gründe deutlich zu langsam. Die Baukosten werden durch höhere Energiekosten und bald auch höheren Löhnen steigen, es fehlt an Rohstoffen, Halbfertigprodukten und Technikkomponenten. Oder diese kommen deutlich verzögert – wer heute eine Wärmepumpe bestellt, muss mit Lieferfristen von bis zu einem Jahr rechnen. Dann kommen vor allem in Ballungsgebieten neue Hindernisse auf Bauwillige zu, wir haben hier darüber berichtet. Vor allem im Kanton Zürich wird auch der Mehrwertausgleich nicht zu erhöhter Bautätigkeit führen, auch darüber haben wir in einem umfassenden Artikel berichtet. So kommt die Verdichtung nicht im nötigen Galopp voran und in ländlichen Regionen ist bereits ein Gegentrend erkennbar: Lokale Vorstösse für eine Entdichtung mit tieferen Ausnützungsziffern und grösseren Abständen werden zunehmen, denn das Wohnen hat seit Corona nochmals mehr an Bedeutung gewonnen. Man will es geräumig und gerne mit einer schönen Distanz zu den Nachbarn. Schlussendlich wird ausländischen Käufern heute mit Bewilligungsfristen von nicht selten bis zu neun Monaten für eine Lex-Koller-Bescheinigung der Kauf einer Immobilie faktisch verhindert.

So ist Mieten aktuell eine attraktive Option, aber auch hier fehlt es an genügend gesuchten Objekten.

Entsprechend rechnen wir in unseren Regionen aufgrund der aktuellen Situation mit in die Gänge gekommener Inflation und Zinsanstieg mit einer moderaten Nachfrageabflachung. Diese beurteilen wir aber als Regulierung und weit weg von einem Zusammenbruch. Denn wenn wir auf ein freistehendes Haus in oder um Zürich nur noch 300 statt 500 Dossieranfragen haben, kann klar gesagt werden, dass die Nachfrage nach wie vor hoch ist. Und solange die Erstellung von neuem Wohnraum der Bevölkerungs- und Einkommensentwicklung hinterherhinkt, rechnen wir nicht mit einer totalen Trendumkehr. Auch was die Preisentwicklung betrifft, denn noch nie war soviel geerbtes Geld oder Erbvorbezüge zum Kauf von Wohnraum vorhanden wie heute.

So wird der Traum vom Wohneigentum bestehen bleiben und die Anzahl der Menschen, die sich das weiterhin leisten können, wird ebenfalls nicht deutlich geringer. Dass es aber auf langfristige Sicht zu Preisanpassungen kommen kann, schliessen wir nicht aus. Und auch nicht, dass sich damit eine Schere auftut, die nur durch die Erleichterung des Baus von attraktiven Mietliegenschaften zu lösen ist. Ein dringendes gesellschaftliches Thema, bei dem die Politik und jeder Einzelne mit seinen Einflussmöglichkeiten gefragt ist.