Die Inflationsrate stieg zu Jahresbeginn auf über 3.3%. Das veranlasste die Nationalbank, die Zinsen von minus 0.75% auf aktuell 1.5% zu erhöhen. Das geschah seit Juni 2022 in insgesamt vier Zinsschritten, weitere ein bis zwei solcher Zinsschritte mit einer Erhöhung um insgesamt 50 bis 75 Basispunkte werden bis Ende Jahr erwartet. Die Schweizer Nationalbank bekämpft eine Inflationsrate ab 2% mit Zinserhöhungen, denn die Preisstabilität ist eines der wichtigsten Ziele in der Schweiz. Dabei nimmt die SNB keine Rücksicht auf die private oder öffentliche Verschuldungssituation. So weit so gut.
Seit 2008 das Mass aller unbefristeten Mietverträge: der einheitliche Referenzzinssatz
Nun wurde im Jahr 2008 ein für die Schweiz einheitlicher Referenzzinssatz eingeführt. Früher hat sich der Referenzzinssatz an einzelne Kenngrössen wie zum Beispiel die variablen Zinssätze der Kantonalbanken gehalten. Der Referenzzinssatz stützt sich auf den vierteljährlich erhobenen volumengewichteten Durchschnittszinssatz der inländischen Hypothekarforderungen. Dieser wird jeweils auf ein Viertelprozentwert gerundet. Doch ist dieser Referenzzinssatz eine gute Sache? Dieser Frage sind wir für Sie nachgegangen.
Diverse Faktoren bestimmen die Mietzinsanpassungen
Mit der Einführung im Jahr 2008 betrugt der erste Referenzsatz 3.5%. Anschliessend haben sich die Zinsen laufend reduziert, in der Schweiz waren von 2015 bis September 2022 sogar Negativzinsen üblich. Der Referenzzinssatz wurde in der Folge laufend reduziert, am Schluss lag dieser bei 1.25%. Mit jeder Zinsreduktion wurden die Mieten bei nicht indexierten Wohnmietverträgen, die eine Mindestmietdauer von 5 Jahren vorsehen würden, um 3% reduziert. Allerdings können Vermieter die jährlichen Kostensteigerungen um 0.5% bis 1% pro Jahr sowie 40% der Teuerung aufrechnen.
Günstiges Geld sorgte für sinkende Mieten
In den Jahren 2008 bis 2022 betrug die Inflation gesamthaft 2.4%, sie war also mit einem Durchschnitt von 0.13% pro Jahr praktisch nicht vorhanden. Interessant ist, dass in dieser Zeit der Referenzzinssatz neunmal gesenkt wurde. Die Vermieter mussten dabei die Mieten neunmal um 3 % reduzieren und konnten im besten Fall mit 40% von den 2.4%, also 0.96% Teuerung sowie 7% bis 14% Kostensteigerungen dagegenhalten. Die Zeiten des günstigen Geldes waren also nicht nur für Vermieter, die Hypotheken mit attraktiven Zinssätzen hatten, sondern auch für Mieter eine schöne Bescherung.
«Dank dem Referenzzinssatz gab es bis 2020 keine Inflation.»
Sinkende Mieten haben die Inflation in der Schweiz annähernd egalisiert
Wir haben einen Blick ins Ausland gemacht: In Deutschland betrug im selben Zeitraum die Inflation 30.11%, also 1.77% im Jahresdurchschnitt. In den USA betrug die Inflation über die gleichen vierzehn Jahre 35.9%. Warum also hatten wir eine so tiefe Inflationsrate? Ein Blick in den Schweizer Warenkorb zeigt, dass Wohnen und Energie 25.4% ausmachen. Mit jeder der neun Senkungen des Referenzzinssatzes wurde die Inflationsrate also um 0.75% reduziert. Wie oft haben wir staunend festgestellt, dass wir eine Inflation im Restaurant oder im Supermarkt gespürt haben, jedoch die offizielle Inflation bei praktisch null Prozent lag. Mit Bestimmtheit war der Referenzzinssatz stark mitverantwortlich für die tiefe Inflationsrate.
LIK-Warenkorb und Gewichte, 2023
Quelle: BFS – Landesindex der Konsumentenpreise (LIK)
Steigende Zinsen sorgen für höhere Mieten und höhere Inflation
Doch wie bei Yin und Yang und wie bei jeder Münze gibt es immer eine Kehrseite. Und nun stehen Zinserhöhungen infolge einer baldigen Erhöhung des Referenzzinssatzes auf 1.5% an. Die erste Zinsrunde wird die Mieter hart treffen. Es wurden im März 2020 letztmals die Kostenstände angepasst. Nun können im Herbst 2023 nebst den 3% Erhöhungspotential für die Mieten noch 40% einer aufgelaufenen Teuerung von über 5% seit 2020 - also rund 2.1% - sowie 0.5% bis 1% Kostensteigerungen pro Jahr dazu, was nochmals rund 1.8% bis 3.6% entspricht. Total ist also in der ersten Runde im Herbst 2023 mit Mietzinsaufschlägen von 6.9% bis 8.7% zu rechnen.
«Die erste Hypothekarzinsrunde im Herbst 2023 wird die Mieter hart treffen.»
Sekundäreffekte wirken als Brandbeschleuniger
Wenn man berücksichtigt, dass rund 25% des Landesindexes der Konsumentenpreise die Kostenanteile Wohnen und Energie umfassen, so wäre infolge der Erhöhung des Referenzzinssatzes um 0.25% mit sogenannten «Sekundäreffekten» und damit einer nachgelagerten Steuerung der Teuerung von zirka 1.7% bis 2.2% zu rechnen. Glücklicherweise werden nicht alle Vermieter die Zinsen erhöhen und nicht alle Mieten wurden 2020 auf den damaligen Stand reduziert. Trotzdem werden in Zukunft mit jeder Referenzzinssatzerhöhung die Sekundäreffekte die Inflation wie ein «Brandbeschleuniger» anfeuern.
Inflationsspirale kann zu toxischer Situation führen
Was macht die Schweizerische Nationalbank? Eine alte Weisheit in der Geldpolitik lautet «Don’t fight against the Fed». Und das heisst, wir müssen damit rechnen, dass die Schweizerische Nationalbank in keiner Art und Weise auf Ihre Mietkosten, Ihre Kosten- oder Schuldensituation Rücksicht nehmen wird. Zudem werden neben den steigenden Mieten auch die erhöhten Energiekosten sowie die Lohnpreisspirale zu höherer Inflation führen. Die Teuerung muss bekämpft werden und ab 2% Inflation geht die Nationalbank konsequent vor. Nun könnte dieser Auftrag zu einer toxischen Situation führen: Die Zinsen werden angehoben, weil die Inflation bekämpft wird. Dies führt zu einer Erhöhung des Referenzzinssatzes, der die Inflation weiter anheizt. Ein perfektes Perpetuum Mobilie also, zum Leidwesen aller Marktteilnehmer.
«Der Referenzzinssatz: Ein perfektes Perpetuum Mobilie für die Inflationsspirale.»
Der Fehler im System: Der Referenzzinssatz hat nichts mit der realen Hypothekenlast zu tun
Ist der Referenzzinssatz eine Fehlkonstruktion? Ja und nein. Einerseits werden Vermieter zukünftig belohnt, die ihre Hypotheken in der Tiefzinsphase noch für 10 bis 20 Jahre für 0.8% bis 1.2% fest angebunden haben. Allerdings hatten Vermieter in den Jahren 2008 bis 2015 vielleicht sehr hohe Fixhypotheken abgeschlossen und konnten nicht von den tiefen Zinsen profitieren, mussten aber die Mieten trotzdem senken.
Eine Alternative: die indexierte Miete
Die Alternative wäre die 100-%ige Anbindung der Wohnkosten an den Landesindex der Teuerung, wie dies bei Geschäftsmietverträgen üblich ist. Dies war schon immer möglich, jedoch können Mietverträge bei Wohnobjekten genauso wie bei gewerblich genutzten Mietobjekten nur dann jährlich an die Entwicklung der Teuerung angebunden werden, wenn die Vertragsmindestmietdauer fünf Jahre oder mehr beträgt. Eine Aufhebung dieser Regelung in Kombination mit einer Abkehr vom Referenzzinssatz als Massstab für Mietzinsanpassungen könnte vielleicht für mehr Inflationsstabilität sorgen. So könnten die Mieten im Herbst 2023 nur um 5% (Teuerung seit 2020) statt um 7-9% angehoben werden müssen. Die Mieten würden sich mit der Teuerung entwickeln, Sekundäreffekte sind aber auch hier nicht von der Hand zu weisen.