Von viel und wenig Platz

Wohnen in Graubünden – ein Rückblick und ein Ausblick

Artikel in der Bündner Woche, 20.01.2021.
von Cindy Ziegler

Die urchige 2-Zimmer-Wohnung mit hölzernen Sichtbalken. Die schöne 3,5-Zimmer-Altbauwohnung mit den hohen Decken. Das urbane 5-Zimmer-Loft mit Dachterrasse in der Stadt. Oder doch lieber das 10-Zimmer-Haus im Grünen? Alles eine Frage des Geschmacks, des Platzanspruchs – und vor allem auch des Geldes. Ja, beim Wohnen geht es oft eben auch um das leidige Thema Finanzen. Und wenn man den neusten Marktbericht für die Region von Bonaduz bis Maienfeld (mit Chur) von Ginesta Immobilien so liest, könnte man das Gefühl haben, dass Wohnen zum Luxus geworden ist. In Haldenstein zum Beispiel kostet ein Einfamilienhaus heute 50 Prozent mehr wie noch vor 20 Jahren. Und eine Eigentumswohnung ist heuer gar 90 Prozent teurer als noch um die Jahrtausendwende. Dieses Bild zeigt sich übrigens nicht nur in Chur, sondern auch in der Region Imboden, in der Bündner Herrschaft und im Kreis Fünf Dörfer. Ist Wohnen heute also tatsächlich Luxus? «Wohnen an sich nicht, nein», sagt Immobilienexperte Sascha Ginesta. Aber Wohneigentum, das habe sehr wohl seinen Preis, wenn auch dieser stark von der Region abhängt, in der sich das Objekt befinde. «Im Moment boomen Kurorte extrem. Zentrale Regionen waren schon immer beliebt. Und das hat auch stark mit der Abwanderung aus den Tälern zu tun», meint er. Grundsätzlich könne man auch sagen, dass es in urbanen Gebieten mehr Mietwohnungen gebe. Und je ländlicher es werde, desto höher sei der Anteil an Wohneigentum. Das wirke sich dann auch entsprechend auf das Angebot aus. Aber auch die Immobilienwelt hat das Coronavirus ordentlich durcheinandergewirbelt. Denn mit der Weisung, zu Hause zu bleiben, hat das Daheim stark an Bedeutung gewonnen – zum Wohlfühlen und als Arbeitsort. «Seit März erleben wir einen regelrechten ‘Run’ auf Zweitwohnsitze», so Sascha Ginesta. Viele hätten gemerkt, dass man auch gut von dort aus arbeiten könne und nicht jeden Tag pendeln müsse. «Homeoffice kann deshalb auch eine Chance sein für die peripheren Gebiete, die mit Abwanderung zu kämpfen haben.» Besonders beliebt seien derzeit auch Wohnungen und Häuser mit einem Garten. Wie nachhaltig diese Entwicklungen seien, werde sich erst noch zeigen, meint Sascha Ginesta. Trends wurden in der Immobilienbranche schon viele vorhergesagt. Im Moment sind zum Beispiel besonders nachhaltige Bauten ein Thema. Und eben auch die Idee, dass Wohnen, Arbeiten und Leben unter einem Dach stattfinden soll. «Heute haben viele höchstens einen improvisierten Schreibtisch in einer Ecke des Gästezimmers stehen. Neue Wohnmodelle funktionieren womöglich künftig anders», so der Experte.


Anders funktionieren auch die sogenannten Tiny Houses, also Häuser, die winzig sind und meist weniger als 50 Quadratmeter Wohnfläche haben. «Von dieser Bewegung spricht man schon länger, hier wirklich angekommen ist sie aber nicht. Vielleicht auch noch nicht», sagt Sascha Ginesta. Die Statistik unterstützt seine Aussage. Gar das Gegenteil ist der Fall, denn pro Person wird nicht weniger Platz gebraucht, sondern jedes Jahr mehr. Im Durchschnitt hatte im Jahr 2019 jeder Schweizer und jede Schweizerin 46 Quadratmeter Wohnfläche für sich. Und die Bündner haben sogar noch ein bisschen mehr Platz, nämlich 47,3 Quadratmeter. Zudem gebe es auch immer mehr Ein-Personen-Haushalte. Eine Entwicklung, die im Widerspruch zu den effektiven Platzverhältnissen und dem Nachhaltigkeits-Trend steht. «Mittlerweile wissen wir, dass der Boden begrenzt ist. Bauland zu finden, ist enorm schwierig geworden. Chur ist ein gutes Beispiel. Die Stadt wächst nicht mehr nach aussen, sondern praktisch nur nach innen», erklärt Sascha Ginesta. Noch vor 20 Jahren sei das nicht so gewesen. Umso mehr sei heute verdichtetes Bauen ein Thema. «Wo früher drei Einfamilienhäuser standen, steht heute ein Haus für mindestens acht Familien.» Irgendwie sind wir, zumindest was das Wohnen angeht, Meister des Konträren. Denn auch verdichtetes Bauen findet in der Schweiz nur begrenzt statt. «Wenn man den Zahlen glaubt, ist die Schweiz noch immer eine Hüsli-Bau-Nation», so Sascha Ginesta. Der Anteil an Wohneigentümern sei hierzulande überproportional hoch. Dies vor allem, weil der helvetische Mittelstand sehr gross sei. «Und irgendwie ist das auch eine Kulturfrage.» Dazu kommen noch das Bevölkerungswachstum und die Zuwanderung. Das alles führe im Endeffekt dazu, dass die Immobilienpreise jedes Jahr ansteigen und zur Frage, ob die Preise überhaupt noch gesund sind. «Solange sich das Angebot nicht deutlich vergrössert oder auf der Nachfrageseite ein Einbruch stattfindet, werden die Preise weiter steigen. Solange aber die Löhne und der Wohlstand mitsteigen, sind die Preise fürs Wohnen auch noch gesund», erklärt Sascha Ginesta. Immobilien seien nach wie vor eine gute Wertanlage, die man sich gerne finanziert und in die man gerne investiert. «Dass man nicht mehr als ein Drittel des Einkommens für Wohnen ausgibt, funktioniert noch für die Meisten.» Und schon sind wir wieder beim Geld und der Frage, was man sich leisten kann und welche Abstriche man machen will. Ob man sich nun für die schnuckelige, kleine Wohnung in der Stadt, das moderne Loft im Ballungsgebiet oder doch das geräumige Haus auf dem Land entscheidet, Angebot und Nachfrage sind da.

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