Herr Ginesta, in Chur wohnt man gerne. Das zeigen die wenigen leer stehenden Mietwohnungen und die hohe Nachfrage nach Wohneigentum. Warum?
Sascha Ginesta, Partner Ginesta Immobilien und Leiter Vermarktung Graubünden: Grundsätzlich stellen wir fest, dass das Wohnen in der Stadt pandemiebedingt eigentlich weniger gesucht ist. Wir sehen jedoch auch, dass die Stadt Chur in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt hat, weil sie vieles richtig gemacht hat. Chur ist im Vergleich zu grösseren Städten wie Zürich oder Bern eben keine Grossstadt. Wegen Corona kann vermehrt eine Verschiebung des Wohnorts von der Gross- in die Kleinstadt beobachtet werden. Das ist ein Trend. Ein anderer – und den gab es schon vor Corona – ist der, dass immer mehr Menschen von den Tälern in die Stadt ziehen. Dazu kommt, dass sich momentan nicht nur Bündnerinnen und Bündner auf die Kantonshauptstadt konzentriert, sondern eben auch Menschen aus grösseren Städten der Schweiz. Zudem darf man nicht vergessen, dass Chur einen wachsenden Anteil an Studierenden hat. Speziell an der Stadt ist, dass sie nicht markant weiter nach aussen wächst. Chur hat ein gleichbleibendes Angebot, was wiederum die Preise in die Höhe treibt. Gerade wenn es um Einfamilienhäuser geht.
Was macht denn ein Wohnort wie Chur attraktiv?
Es ist die Infrastruktur, es sind die Einkaufsmöglichkeiten, die Verkehrsanbindung, der öffentliche Verkehr, es sind die Möglichkeiten der Kinderbetreuung, die Schulen, das kulturelle Angebot, die Freizeitmöglichkeiten und die Nähe zum Arbeitsplatz. Letzteres Bedürfnis verändert sich durch die Homeoffice-Möglichkeiten aber. Es ist heute kein Problem mehr, eineinhalb Stunden vom Arbeitsplatz entfernt zu wohnen. Das hat in vielen Regionen eine Verschiebung gegeben. Davon hat Chur profitiert. Mit Homeoffice oder Teil-Homeoffice sind Arbeitsplätze in Zürich oder St. Gallen sehr gut von Chur zu erreichen. Chur liegt zudem nahe zu den grossen Tourimusregionen Arosa/Lenzerheide und Flims/Laax/Falera. Das macht Chur auf dem Schweizer Markt attraktiv.
Sie haben vorhin bereits das Wohneigentum angesprochen. In Chur ist dieses rar und teuer. Ist das Bedürfnis nach einer eigenen Immobilie in den letzten Jahren gestiegen?
Das Bedürfnis nach Eigentum ist mit dem Bedürfnis nach Besitztum verbunden. Man möchte etwas besitzen. Das gab es schon immer und wird es auch immer geben. Die Pandemie hat diesen Markt nicht unbedingt beflügelt, viel mehr liegt der Grund für die kurzfristige Beliebtheit in den tiefen Zinsen. Das macht Wohneigentum attraktiv. Es ist aktuell effektiv günstiger, als zu mieten. Und es ist ein Investment. Wer einmal eine Immobilie gekauft hat, fährt mit im Karussell des Immobilienmarktes.
Nicht zu vergessen ist jedoch, dass der Bodenpreis in Chur bei über 1500 Franken pro Quadratmeter liegt. Wer kann sich das leisten? Ist wohnen zum Luxus geworden?
Wohneigentum ist zum Luxus geworden, ja. Wenn ein Objekt eine Million kostet, bedeutet das, dass ich ein Viertel Eigenmittel aufbringen muss. Also etwa 250 000 Franken. Um die Hypothek von 750 000 Franken tragen zu können, muss ich ein Einkommen von in etwa 140 000 Franken generieren. Das geht, wenn man zu zweit ist, alleine wird das schon schwieriger. Trotzdem ist die Nachfrage gross, was zeigt, dass die Mittel vorhanden sind. Aber natürlich – und da müssen wir uns nichts vormachen – kann sich nicht jede und jeder Wohneigentum leisten. Im Vergleich zu anderen Regionen hat Chur jedoch immer noch moderate Preise. Das sieht in Zürich anders aus.
Wie steht es um den Mietwohnungsmarkt in Chur?
Dieser ist etwas liquider. Die Angebote sind da, Tendenz zwar rückläufig, doch jemand, der in Chur wohnen will, findet eine Wohnung. Doch auch die Mietpreise steigen. Das hat einerseits mit der Nachfrage, andererseits mit der Wirtschaftslage zu tun. Die Preise der Mieten haben zugenommen, jedoch – das wage ich zu behaupten – nicht im gleichen Ausmass wie beim Wohneigentum.
Haben sich die Bedürfnisse von Mieterinnen und Mietern in den letzten zwei Jahren verändert?
Ja, die Ansprüche an den Wohnraum haben sich durch die Pandemie verändert. Viele Menschen hatten Zeit, zu Hause zu sein und sich mit dem eigenen Zuhause auseinanderzusetzen. Für viele war die Situation nicht befriedigend. Zuerst beobachteten wir den Trend, dass es die Menschen von der Stadt aufs Land zog. In den Städten hatten wir Leerstände. Das hat sich aber bereits wieder geändert. Was sich durch die Pandemie auch geändert hat, sind die Platzbedürfnisse. Heute ist ein zusätzlicher Raum für ein Büro ein Thema. Das war früher nie gefragt. Der Quadratmeteranspruch pro Kopf steigt generell seit einigen Jahren leicht an. Die Bedürfnisse haben sich effektiv verändert. Ob diese Veränderungen nachhaltig sind, zeigt sich in einigen Jahren. Früher hatten wir zudem gewisse Schwierigkeiten, Gartenwohnungen zu vermieten oder zu verkaufen. Plötzlich waren diese Wohnungen gefragt. Jeder und jede wollte einen Garten. Dadurch, dass in den vergangenen zwei Jahren viele mit ihrer Wohnsituation unzufrieden waren, wurde der Mietermarkt dynamischer.
Müsste das Wohnangebot in der Stadt Chur anders aussehen?
Indem, dass Chur jüngst eine grosse Bautätigkeit hatte, würde ich sagen, dass man den Bedürfnissen gerecht wird. Nicht nur im Bereich Wohnen, sondern auch im öffentlichen Bereich. Da hat sich vieles getan in den letzten Jahren.
Sascha Ginesta: «Die Ansprüche an den Wohnraum haben sich verändert»