Laut Informationen von Ginesta Immobilien zeichnet sich eine Zeitenwende in der Immobilienbranche ab. Im Engadin ist dieser Trend dank der vielen Ferienliegenschaften noch weniger bemerkbar.

von Fadrina Hofmann

Das Immobilienfrühstück in St. Moritz von Ginesta Immobilien hat Tradition. Schon frühmorgens werden die geladenen Gäste jeweils Ende Jahr bei Kaffee und Gipfeli über die aktuelle Immobilienlage informiert. Das Familienunternehmen hat seit der Gründung 1944 Tausende Immobilien vermittelt. Ginesta betreut acht Marktgebiete, unter anderem mit den Standorten in St. Moritz und Chur. «St. Moritz bleibt kantonsweit an der Spitze bei den Transaktionspreisen der Eigentumswohnungen», verriet Sascha Ginesta, Leiter Vermarktung Graubünden, gleich zu Beginn der Präsentation. Aufhänger des Immobilienfrühstücks waren die Marktberichte 2023 für das Oberengadin. «Die Kurve der Preisentwicklung für Wohneigentum zeigt immer noch nach oben», sagte Franco Giovanoli, Leiter Vermarktung Engadin. Die Angebotsquote wiederum sei nach wie vor sehr tief. «Sehr wenige Objekte kommen auf den Markt, vor allem wenige grössere Liegenschaften und auch wenige Liegenschaften im höheren Preissegment», erläuterte Giovanoli. Die Eigentümer scheinen an ihren Liegenschaften festzuhalten. «Es gibt keinen Grund, eine gute Liegenschaft an guter Lage zu veräussern», so Giovanoli. Tendenziell sei der Wohnungsmarkt im Engadin sehr trocken, und zwar bei Einfamilienhäuser ebenso wie bei Eigentumswohnungen und bei Mietwohnungen.

Normalisierung hat eingesetzt

Seit Beginn der Pandemie verzeichnete Ginesta einen extrem hohen Anstieg an Nachfragen zu Wohneigentum im Engadin. «2020 ging die Kurve durch die Decke», erzählte Giovanoli. Seither gebe es einen kontinuierlichen Rückgang, allerdings auf hohem Niveau. «Wir haben weniger Nachfragen für Objekte, aber die Qualität der Suchenden ist gestiegen», so der Experte. Generell müsse nach dem Corona-Hoch mittelfristig mit einer Trendwende, sprich Normalisierung, im Markt gerechnet werden. Im Engadin machen sich die steigenden Zinsen noch nicht gross bemerkbar. Einzig wenn es um Renditeobjekte geht, ist das Interesse kleiner als noch vor einem Jahr. «Man merkt, der Markt ist vorsichtig geworden», so Giovanoli. Die durchschnittliche Vermarktungsdauer werde wieder länger. Er rechnet damit, dass es künftig länger gehen wird, um eine Liegenschaft zu veräussern, als es in den letzten zwei Jahren der Fall war. «Ich bin aber überzeugt, dass sich der Immobilienmarkt gerade im Engadin auch in Zukunft sehr gut entwickeln wird», meinte Giovanoli.

Wie die Situation im Kanton Graubünden und schweizweit aussieht, zeigte Gastredner Andreas Ammann von Wüest Partner auf. «Die Inflation ist 2022 in der Schweiz angekommen», sagte er. Ein weiteres Thema des Jahres sei der Leerstand, also die verfügbaren Wohnungen in der Schweiz. Noch vor drei, vier Jahren war die Leerstandsquote in vielen Gebieten der Schweiz noch hoch. 2021 kam die Trendwende mit sinkenden Leerständen. Einerseits hat die Pandemie einen Nachfrageschub ausgelöst, andererseits hat die Bautätigkeit nachgelassen. In Graubünden ist die Nachfrage nach Mietobjekten sehr hoch, der Wohnungsmarkt ist 2022 noch weiter ausgetrocknet. 

Verhalten positive Aussichten

Die Immobilienbranche prognostiziert seit Jahren eine Zinswende. In diesem Jahr ist sie geschehen. Die Leitzinsen steigen kontinuierlich. Im Frühling 2022 lag der Leitzins in der Schweiz noch bei -0,75 und jetzt bei 1,00 Prozent. «Das ist eine substanzielle Veränderung», meinte Ammann. Die Hypothekarzinsen sind entsprechend gestiegen, die Laufzeiten wurden verlängert. Dennoch wurde der Immobilienmarkt nicht so stark von der Zinswende beeinflusst. Grund dafür sei das realwirtschaftlich intakte Umfeld mit der Zunahme an offenen Arbeitsstellen und an der Anzahl der Beschäftigten. Auch die Prognosen für 2023 sehen gut aus. Trotz Inflation und Zinserhöhung liegt die Prognose für das Bruttoinlandprodukt bei +0,9 Prozent. Auch die Werte für Beschäftigung, Anzahl Haushalte und Inflation liegen immer noch im positiven Bereich. Ammann sprach von «verhalten positiven Aussichten», welche auch die Immobilienbranche beeinflussen werden.

Die Neubautätigkeit hingegen ist in allen drei Segmenten – Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen, Mietwohnungen – rückläufig. Die Kosten pro Objekt sind hingegen gestiegen, mit nachhaltigem Bauen, mit der Bauteuerung und der Inflation zu tun hat. Gemäss Suchanfragen auf Internetplattformen ist die Nachfrage an Mietwohnungen gestiegen und damit auch die Preise. In Graubünden ist diese Entwicklung noch ausgeprägter. Der Anstieg ist vor allem in den Tourismusgemeinden sehr deutlich. «Von 2019 bis 2021 sind die Leute regelrecht in die Berge geflüchtet», so Ammann. Bis Mitte 2022 hat sich die Situation etwas beruhigt, aber die Nachfrage nach Zweit- und nach Erstwohnungen ist immer noch hoch. «Der Platz für die ständige Wohnbevölkerung ist sehr limitiert und das ist der Wermutstropfen in diesem Jahr». 
 

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