Claude Ginesta weiss, wie Liegenschaften vermarktet werden. Er setzt vor allem auf digitale Werkzeuge.
(Interview: David Strohm, NZZ Residence November 2024)

Residence: Die Zinsen sinken, Wohneigentum wird attraktiver. Ist die Trendwende schon spürbar?

Claude Ginesta: Ja, wir merken das. Die Nachfrage hat jüngst wieder zugenommen. Gleichzeitig steigt aber auch das Angebot. Wir können also erstmals seit etwa fünf Jahren wieder von einem gut funktionierenden Markt sprechen.

In welche Richtung bewegen sich die vielerorts schon hohen Preise?

Wenn Angebot und Nachfrage nicht mehr so weit auseinanderfallen, trifft man sich eher in der Mitte. Ich denke daher nicht, dass die Preise kurzfristig weiter steigen werden wie bisher. Wir erwarten bei den Preisen eine Seitwärtsbewegung.

Stadt, Agglomeration oder Land: Wohin zieht es die Wohnungssuchenden?

Die Entscheidung basiert meist auf Kompromissen – beim Budget, bei der Lage oder bei der Liegenschaft. Entweder sie bezahlen mehr, als sie sich eigentlich leisten können. Oder sie ziehen weiter hinaus, wo es günstiger wird, und verzichten auf Aussicht. Seesicht allein kann einen Unterschied von über 30 Prozent machen. Oder sie machen Abstriche beim Objekt. Dann gibt es eine Etagenwohnung statt einer Attika oder eine Doppelhaushälfte statt eines freistehenden Hauses.

Einfamilienhaus, Stockwerkeigentum oder Miete? Was wird derzeit besonders stark nachgefragt?

Die Frage ist eher Kauf oder Miete. Im Moment ist beides etwa gleich attraktiv. Bei den derzeit sinkenden Zinsen schlägt das Pendel hin zum Kauf. Bei steigenden Preisen wird der Mietmarkt wieder spannender.

Es wird zu wenig Wohnraum gebaut. Was muss sich ändern, um den Bau anzukurbeln?

Die hohe Regulierungsdichte ist ein Problem, das es zu lösen gilt. Ich denke da an Lärmschutz oder die Vorgaben des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS). Und es sollte wieder mehr Bauland eingezont werden, weil die Verdichtung nicht richtig funktioniert.

Verdichtung führt ja häufig zum Ersatz von Einfamilienhäuschen durch gesichtslose «Crèmeschnitten». Warum scheuen Bauwillige mutige Entwürfe?

Über Architektur und Ästhetik kann man natürlich streiten. Zum einen wünschen sich die Gemeinden über ihre Bauordnungen diese Art der Verdichtung. Es sollen ja Wohnungen her. Sinnvoll wäre, einen Bonus zu vergeben für gutes Bauen und die Sanierung historischer Objekte, einen Zuschlag zur Ausnützungsziffer, wie es ihn bereits bei Arealüberbauungen und energieeffizientem Bauen gibt. Es gibt für mich aber auch viele Architekten, die sich nichts trauen. Und es gibt zu viele Behörden, die keine Ahnung von guter Architektur haben. Die Prüfverfahren werden gerade in kleinen Gemeinden zunehmend ausgelagert an externe Ingenieurbüros und Geometer.

Die Hürde der Finanzierung bleibt für viele Käufer hoch. Sind Banken zu streng bei der Hypothekenvergabe?

Im Gegenteil, immer häufiger umgehen die Banken die sogenannten goldenen Finanzierungsregeln. Vor allem bei der Tragbarkeit wird oft ein Auge zugedrückt, die Fünf-Prozent-Regel beim hypothetischen Zins ist ja auch nur eine Empfehlung der Nationalbank. Das Problem ist, dass der Wettbewerb hier nicht richtig spielt. Es gibt de facto nur noch eine Grossbank im Land und eine Kantonalbank pro Region. Die Versicherungen ziehen sich aus der Immobilienfinanzierung zurück. Die Folge: Zinssenkungen werden nicht weitergegeben, die Margen der Banken steigen.

Sie leiten seit 15 Jahren das Familienunternehmen. Was hat sich in der Zeit verändert?

In erster Linie die Preise für Liegenschaften. Verändert hat sich auch die Vermarktung. Vieles läuft heute stark digitalisiert. Interessenten haben heute bessere Möglichkeiten, sich mit Bildern, Videos oder virtuellen Touren eine Liegenschaft anzusehen. Generell sind die Kunden heute besser informiert. Verändert hat sich auch unser Unternehmen, wir sind stark gewachsen.

Sie engagieren sich über das eigene Unternehmen hinaus auch für Branchenanliegen. Als VR-Präsident von Next Property, welche die Interessen von Immobilienunternehmen für die Plattform «Newhome» bündelt, bieten Sie Platzhirschen wie Homegate und Immoscout die Stirn. Was ist das Ziel?

Digitale Applikationen können heute viele Maklerfunktionen übernehmen, und das versuchen die Monopolisten, wie wir sie nennen, indem sie den Kontakt zu den Interessenten bei sich behalten. Das bedroht die kleineren Vermittler, die nicht wie wir über eine grosse Zahl von Kontakten verfügen. Man sieht das in den USA, wo der dortige Platzhirsch  Zillow das Geschäft an sich reisst. An «Newhome» sind neben rund 500 Immobilienfirmen 19 Kantonalbanken und die Axa-Versicherungen beteiligt. Damit bieten wir eine Alternative zu den Angeboten der Monopolisten an.

Seit längerem sind Sie auch in der «Ferienecke der Schweiz» tätig. Was macht den Markt Graubünden so attraktiv?

Die Zweitwohnungsinitiative hat das Angebot reduziert, und was knapp ist, wird begehrt und steigt im Wert. Graubünden verfügt über eine hohe Lebensqualität und ist gut zu erreichen.

Über Ihr internationales Netzwerk bieten Sie Liegenschaften in weiteren Ferienländern an. Warum kaufen vermögende Leute ein weit weg liegendes Haus, das sie vielleicht nur wenige Wochen im Jahr nutzen?

Vielleicht haben sie sonst schon alles. Wer es sich leisten kann, will sich zu Lebzeiten Lebensqualität und etwas Schönes leisten. Zudem kommt man heute besser dorthin. Und es gibt mehr und mehr Liegenschaftsbesitzer, die ihre Anwesen vermieten, wenn sie selbst nicht dort sind. Die Sharing-Economy ist also auch in diesen Kreisen angekommen.