Was man über das Freilichtmuseum Schweiz alles wissen sollte

Die Schweiz verkommt zu einem unheimlichen Freilichtmuseum historischer Gebäude. Dabei scheint es egal – oder zumindest immer wieder äusserst fragwürdig –, ob diese architektonisch, ökologisch oder von der Bausubstanz her den Ritterschlag für die Ewigkeit wirklich verdienen. Der «Artenschutz» von Schweizer Immobilien hat beim Kauf, der Erneuerung oder dem Verkauf massiven Einfluss auf deren Besitzer und stellt sie vor vielfältige Hürden. Zudem verhindert er die Aufzonung und sinnvolle energetische Sanierungen. Wie es dazu kam, wer dahintersteckt und was Sie mit einer inventarisierten Immobilie erwartet, erfahren Sie in diesem Artikel.

Die drei Regelwerke, die direkten Einfluss darauf nehmen können, was mit einer auch nur potentiell schützenswerten Liegenschaft geschieht, heissen ISOS, Denkmalschutz und KGS. Diese ziehen ihre Maschen immer enger, und die Wahrscheinlichkeit, dass vielleicht auch Ihre Liegenschaft unverhofft in einem solchen Verzeichnis landet, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.

ISOS – das diffuse und eigenmächtige Schutzinventar mit fahlem Beigeschmack

Die Abkürzung steht für Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz. Es handelt sich um eine Datenbank, die wichtige historische Stätten und Ortsbilder landesweit erfasst und schützt. Das ISOS soll als Instrument zur Erhaltung und Pflege des kulturellen Erbes der Schweiz dienen. Es ermöglicht eine systematische Erfassung und Dokumentation von Ortsbildern, die für die Geschichte, die Architektur oder die kulturelle Identität von Bedeutung sind. Für deren Eigentümer bedeutet das, dass diese besonderen Schutzbestimmungen unterstehen und gewisse Auflagen erfüllen müssen, um ihre historische Integrität zu bewahren.

Das ISOS wurde 1981 vom Bundesamt für Kultur (BAK) in der Schweiz ins Leben gerufen. Die Initiative dazu ging vom BAK selbst aus. Ziel war es, eine umfassende Bestandsaufnahme schützenswerter Ortsbilder in der Schweiz durchzuführen und damit einen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes des Landes zu leisten.

Die Bevölkerung hat weder über das ISOS abgestimmt noch dem Bund den Auftrag erteilt, ein solches Inventar zu erstellen. Zu Beginn, beziehungsweise bis zum ersten gerichtlichen Entscheid, war sogar nicht einmal klar, ob dieses eigentümerverbindlich ist, zumal diese auch nie die Möglichkeit hatten, gegen eine ISOS-Klassifizierung Einsprache zu erheben.

Mit diesem ersten Gerichtsentscheid anhand von ISOS im Jahr 2009 erhielt das Inventar dann plötzlich eine eigentümerverbindliche Bedeutung und das markierte einen deutlichen Wendepunkt für jede erfasste Liegenschaft als Teil der insgesamt 1'200 geschützten Ortsbilder. Bis nun heute in den Städten wegen des Ortsbildschutzes an vielen Lagen keine Aufzonung mehr gemacht werden.

Für das ISOS ist es wichtig, dass in einer viergeschossigen Wohnzone eine alte anderthalbgeschossige Wohnsiedlung aus den 1940er-Jahren erhalten wird, da dort während des Zweiten Weltkriegs in den Vorgärten eigenes Gemüse angepflanzt wurde.

Das Prädikat «schützenswert»: fast nur Last, kaum Freude

Grundsätzlich bedeutet der Status «schützenswert», dass ein Gebäude oder eine Gartenanlage bestimmte erhaltenswerte historische, architektonische oder kulturelle Merkmale aufweisen «könnte». An und für sich etwas Erfreuliches. Nicht aber, wenn Sie als Eigentümer keinerlei Mitspracherecht und Einflussmöglichkeit, sondern nur Einschränkungen haben, selbst bei nur als «potentiell schützenswert» eingestuften Liegenschaften und Gärten.

Dabei ist es gar nicht so einfach, herauszufinden, ob etwas als schützenswert eingestuft wurde. Denn jegliche Internetrecherchen dazu bleiben meist erfolglos. Ausser in grossen Städten wie etwa Zürich ist «Schützenswertes» im geografischen Informationssystem gekennzeichnet. In Gemeinden muss man erst auf dem Bauamt nachfragen, wie es um den Schutzstatus einer Liegenschaft oder eines Gartens steht.

Ist eine Liegenschaft schützenswert, können die Behörden in der Regel nicht einmal Auskunft darüber geben, wer diese Beurteilung vorgenommen hat und warum der Eintrag überhaupt besteht. Möchten Sie mehr darüber erfahren, ist eine vertiefte kulturhistorische Abklärung nötig, die nur durch eine Baueingabe oder ein auf Antrag des Grundeigentümers durchgeführtes Provokationsverfahren ausgelöst werden kann.

Das Provokationsverfahren

Normalerweise erfolgt die Abklärung der Schutzwürdigkeit eines Gebäudes oder einer Liegenschaft durch Experten des Denkmalschutzes. Diese prüfen das Objekt hinsichtlich seiner historischen, architektonischen oder kulturellen Bedeutung und bewerten, ob es die Kriterien für den Schutz erfüllt. Die Verfügung erfolgt über das kommunale Bauamt.

Falls nach diesen Abklärungen ein Schutz seitens der Behörden erwünscht ist, versucht die Gemeinde mit dem Grundeigentümer einen «verwaltungsrechtlichen Vertrag» aufzusetzen. Kommt keine Einigung zustande, wird zwölf Monate nach Einleitung des Provokationsverfahrens eine Verfügung erlassen. Gegen diese Verfügung, die öffentlich ausgeschrieben wird, kann ein Eigentümer innert dreissig Tagen Einsprache erheben.

Ist die Liegenschaft nicht schutzwürdig, wird sie aus dem Inventar für schützenswerte Bauten entlassen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass Verbände wie der Heimatschutz diesen Beschluss anfechten.

Grundsätzlich dauert das Verfahren also mindestens neun bis zwölf Monate. In dieser Zeit gilt ein absolutes Veränderungsverbot. Auf den oft ahnungslosen Eigentümer kommen zudem enorme Rechtsberatungskosten zu, sofern man sich mit der Gemeinde nicht einig wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit anderen Worten: Der Staat hat eine Fiche über Ihre Liegenschaft angelegt. Doch ganz anders als beim letzten Fichenskandal in der Schweiz , bei dem 1981 eine Parlamentarische Kommission (PUK) ins Leben gerufen und der Skandal aufgearbeitet wurde, schreit heute niemand auf. Obwohl es natürlich selbstredend ein Skandal ist, wenn ein Objekt ohne das Wissen eines Eigentümers plötzlich auf einer nicht öffentlich einsehbaren Liste erscheint und ihm damit bei einem Verkauf, einer Erneuerung oder der Erstellung eines Ersatzneubaus unerwartete Steine in den Weg gelegt werden.

Etwas durchsichtiger, aber nicht weniger einschränkend: der kantonale oder kommunale Denkmalschutz

Wird ein einzelnes Haus unabhängig von Umgebung oder Ortsbild als schützenswertes Bauwerk eingestuft, bedeutet dies, dass es unter speziellen Schutzbestimmungen steht. Diese können je nach Kanton und Gemeinde variieren, da der Denkmalschutz in der Schweiz weitgehend auf kantonaler und kommunaler Ebene geregelt ist.

Das Positive an diesem Status ist, dass man beim Kauf oder bei der Unterschutzstellung Bescheid weiss und vielleicht sogar ein Mitspracherecht oder die Möglichkeit einer Anfechtung hat. Geschützte Liegenschaften haben meist einen entsprechenden Grundbucheintrag.

In der Regel sind mit der Einstufung als schützenswertes Bauwerk strenge Auflagen und Restriktionen verbunden. Dies kann bedeuten, dass bei Renovationen oder Umbauten bestimmte historische und/oder architektonische Merkmale erhalten oder wiederhergestellt werden müssen. Es kann auch vorgeschrieben sein, bestimmte Materialien oder Bautechniken zu verwenden, um den Charakter des Gebäudes zu bewahren.

Ähnliche Prinzipien gelten für Gärten. Ein Garten, der als schützenswert eingestuft ist, kann bestimmte gestalterische Elemente, eine historische Vegetation oder eine besondere landschaftliche Komposition aufweisen. Auch hier können Schutzbestimmungen vorschreiben, wie der Garten gepflegt und gestaltet werden soll, um seinen historischen oder kulturellen Wert zu erhalten.

Bereits 2016 waren rund 272’000 Einzelobjekte mit besonderen denkmalpflegerischen Qualitäten erfasst, über 75’000 davon waren eigentümerverbindlichen Schutzmassnahmen unterstellt.

Quelle: Bundesamt für Statistik

Die Königsklasse der Einschränkungen: das KGS

Falls es Ihre Liegenschaft – wie schon beim «ISOS-Eintrag» oder beim «schützenswerten Status» – von Ihnen unbemerkt ins Inventar der Kulturgüter von nationaler oder regionaler Bedeutung KGS  geschafft hat, kann je nach Situation der immobilientechnische Super-GAU erreicht sein.

Das Inventar wird vom Bundesrat auf Antrag der Kantone erlassen. In seiner Sitzung vom 13. Oktober 2021 hat der Bundesrat das Schweizerische Kulturgüterschutzinventar mit Objekten von nationaler und regionaler Bedeutung letztmals genehmigt. Es listet bedeutende Kulturgüter aus den Bereichen Denkmalpflege und Archäologie sowie Sammlungen in Museen, Archiven und Bibliotheken auf, für die es Massnahmen zum Schutz vor Gefahren bei bewaffneten Konflikten, Katastrophen und Notlagen zu planen gilt. Das Patronat dieses Inventars hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Das Vorwort dazu stammt von Verteidigungsministerin Viola Amherd höchstpersönlich.

Auch mit Blick auf den Eintrag in dieses Inventar gibt es vorerst für den Eigentümer keine Möglichkeit, Einsprache zu erheben. Ist man irrtümlich im Inventar, braucht es einen Bundesratsbeschluss, um wieder herauszukommen.

Zusätzliche Verschärfung durch das beschlossene Klimaschutzgesetz

Durch all diese Inventare mit ihren Vorschriften wird die Schweiz zu einem Freilichtmuseum. Dabei sollten wir verdichten und den deutlich gestiegenen Raumbedarf auf der heutigen Siedlungsfläche absorbieren. Doch die obigen Gesetze, Verordnungen und Erlasse arbeiten aktiv gegen diese raumplanerischen Ziele.

Mit der Annahme des Klimaschutzgesetzes im Sommer 2023 wird die Situation für solche Liegenschaften nochmals brisanter. Denn alte, geschützte Häuserfassaden mit allenfalls sogar noch geschützten Innenräumen lassen sich nicht klimaneutral isolieren. Man kann sie auch nicht klimaneutral beheizen. Und schon gar nicht darf das äussere Erscheinungsbild durch Solarpanels gestört werden.

Wer ist für diese Situation verantwortlich? Schlussendlich die Allgemeinheit, die folgende Institutionen zulässt:

Hauptprotagonist Nummer 1: der Heimatschutz

Der Schweizer Heimatschutz definiert seine Mission wie folgt:

«Der Schweizer Heimatschutz engagiert sich gemeinsam mit seinen Sektionen für mehr Baukultur. Wir setzen uns für das gebaute Erbe sowie wertvolle städtische und ländliche Räume ein. Dabei werden wir getragen von tatkräftigen Mitgliedern, Gönnerinnen und Gönnern.

Die genauen Aufgaben umfassen u. a.

  • Denkmalschutz
  • Landschaftsschutz
  • Kulturgutschutz
  • Bewusstseinsbildung und Bildung
  • Lobbyarbeit und Advocacy

Der Heimatschutz identifiziert, dokumentiert und schützt historische Gebäude, Denkmäler, archäologische Stätten und andere kulturelle Objekte vor Verfall, Zerstörung oder Veränderungen. Dies umfasst die Festlegung von Schutzbestimmungen, Richtlinien und Auflagen für den Erhalt und die Pflege dieser Objekte.»

Besonders störend und nach wie vor ein ungelöstes Rätsel ist, warum der Heimatschutz keine Aktivitäten gegen unschöne Baukunst unternimmt.

Wer wieder einmal mit dem Zug durch die Schweiz fährt und aus dem Fenster schaut, wird schnell feststellen, wie viele «Attentate» auf die Baukultur verübt wurden. Nicht jeder Architekt hat sich rückblickend als kreativer Künstler erwiesen. Nicht jeder Landschaftsarchitekt hatte immer nur brillante Ideen. Warum der Verband versucht, alles Alte zu bewahren, statt einen relevanten Beitrag dazu zu leisten, dass Neues von architektonischem Wert entsteht, ist nicht bekannt.

Natürlich lässt sich über Geschmack streiten. Für Grundeigentümer ist der Verband aber auf jeden Fall ein Ärgernis, weil er seine Interessen über die Eigentümerrechte stellt und diese mittels für die Betroffenen emotional belastendenden sowie auch zeit- und kostenintensiven Prozessen durchzubringen versucht. In der Stadt Zürich hat der Heimatschutz, wie dieser Artikel des Tages-Anzeigers zeigt, die Einführung der neuen Bauzonenordnung vorerst erpresserisch verzögert. Mit einer Liste von sechzehn Liegenschaften, die auf ihre Schutzwürdigkeit hin abgeklärt werden sollten, wurde die Stadt regelrecht zu Zugeständnissen für die Zukunft gezwungen. Selbstverständlich war diese Liste nicht öffentlich und auch hier konnte man sich als Eigentümer zunächst nicht wehren.

Zudem hat sich die Stadt verpflichtet, das ISOS bei der nächsten BZO-Gesamtrevision zu berücksichtigen. Der zuständige Stadtrat Odermatt hat in einem Gespräch sinngemäss beschwichtigt, man habe das mit dem ISOS nur zugelassen, weil in Zukunft sowieso «keine BZO-Gesamtrevision mehr denkbar» sei. Das stimmt wahrscheinlich … zumindest für den Rest seiner Amtszeit. Und nach ihm die Sintflut.

Hauptprotagonist Nummer 2: die Denkmalpflege

Die Aufgaben einer kantonalen oder kommunalen Denkmalpflege sind eng mit dem Schutz und der Erhaltung des kulturellen Erbes innerhalb eines bestimmten Kantons oder einer Gemeinde verbunden.

Diese staatliche Institution stellt sich regelmässig mit ihren Forderungen über die Interessen der Eigentümer. Obschon Sie der Grundeigentümer sind, kann Ihnen diese Behörde vorschreiben, mit welchen Farben Sie in Ihren vier Wänden zu leben haben, wie Ihr Garten gepflegt werden soll, welche Fenster Sie einbauen müssen oder welche historischen Einbauten Sie täglich in Ihrer Liegenschaft bestaunen dürfen.

Die Frage ist berechtigt: Sind derart einschneidende Massnahmen in einem privaten Raum, in den kein Aussenstehender Zutritt hat, sinnvoll?

Die Herausforderung für die Zukunft: das richtige Mass finden

Natürlich sollen besondere historische Bauten von gesellschaftlicher, geschichtlicher oder architektonischer Relevanz vor allem im Besitz von Staat, Kantonen oder Kommunen einem Schutz unterstellt werden. Wenn aber wie heute allein durch den Denkmalschutz rund 270’000 (im Jahr 2016) mehrheitlich in Privatbesitz befindliche Liegenschaften – und noch einmal eine unbestimmte Zahl von Objekten im 1200 geschützte Ortsbilder umfassenden ISOS-Inventar – an einer Erneuerung und dringend nötigen Verdichtung gehindert werden, erachten wir es als unerlässlich, das Thema immer wieder in den öffentlichen Diskurs zu bringen.

Bleiben Sie achtsam, stimmen Sie weise ab und schauen Sie genau auf die Programme der Politikerinnen und Politiker, die Sie im November ins Parlament wählen.