Die augenfälligste Veränderung im Immobilienbereich betrifft die Vermarktung von Miet- und Kaufobjekten, seien dies Wohnungen, Büro- oder Gewerbeflächen. Eine Immobilie in Genf oder New York kann ein potenzieller Käufer schon heute virtuell und in 3-D begehen. Von den meisten äusseren Merkmalen wie Grundriss, Raumgefühl, Materialien und Lichteinfall kann man sich dank der Technologie in der digitalen Inszenierung ein Bild machen, ohne vor Ort präsent zu sein.
Wer macht was?
Die technischen Innovationen in der Kommunikation und insbesondere das Internet verändern aber nicht nur die Methoden der Vermarktung, sondern erfassen immer mehr auch weitere Bereiche, etwa die Vermittlung und den Transaktionsmarkt von Immobilien. Laut Claude Ginesta von der gleichnamigen Immobilienfirma in Küsnacht werden solche Internetplattformen die Immobilienszene noch stärker verändern als bisher angenommen: «Schon jetzt gibt es in den Vereinigten Staaten und teilweise auch in der Schweiz Beispiele dafür, dass die Webplattformen direkt in Konkurrenz zu den Immobilienmaklern auftreten.»
So stellt eine Internetplattform zum Beispiel einen ersten Kontakt zu einem potenziellen Verkäufer her, bietet diesem verschiedene Dienstleistungen an und knüpft in einem weiteren Schritt den Kontakt zu einem Makler aus einem eigenen Netzwerk von Verkaufsspezialisten. Was bisher als exklusive Domäne von guten Immobilienmaklern galt, nämlich die Herstellung des ersten Kontakts zwischen Verkäufer und Kaufinteressenten, geht damit in die Hand der Webplattformen über.
Berufe im Umbruch
«Vielleicht müssen wir Makler uns damit anfreunden, dass sich beide Parteien einer Immobilientransaktion künftig über andere Kanäle finden als bisher», so Ginesta. Dennoch wäre damit das Rollenbild des Maklers nicht völlig auf den Kopf gestellt. Denn eine Transaktion ist neben der Beratung, der Einschätzung und Dokumentation des Objekts über die professionelle Verkaufs- und Verhandlungsführung immer noch mit einer grossen Vielfalt an weiteren Dienstleistungen verbunden.
Zu den Plattformen, die neue Geschäftsmodelle in der Immobilienvermittlung aufbauen, gehören in der Schweiz vor allem Comparis und Realmatch360. Comparis hat bereits ein eigenes Netzwerk mit Kooperationspartnern unter den Maklern und einen entsprechenden Betrieb aufgebaut. Wer als Makler auf diesem neuen Feld des Immobilienmarktes dabei sein will, unterzeichnet mit Comparis entsprechende Kooperationsverträge. Comparis begründet dies mit der Qualitätssicherung, doch dabei spielen zweifellos die Geschäftsinteressen mit hinein: Kommt eine Immobilientransaktion auf diesem Weg zustande, stehen Comparis 25% der erzielten Verkaufsprovision zu.
Längerfristig werden die Web-Dienstleister bestrebt sein, über diese Absatzkanäle weitere Dienstleistungen und Produkte zu vermarkten: Auf der Hand liegen die Vermittlung von Hypotheken, Versicherungen rund um Immobilien und vieles mehr.
Das Internet und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten schaffen ganz generell neue Informations- und Vergleichsmöglichkeiten. Wer als Käufer oder Mieter gegenüber Maklern, Bewirtschaftern und Vermietern auftritt, bringt meist ein solideres Vorwissen mit als früher und stellt tendenziell höhere Ansprüche. Vor allem für standardisierte, relativ gut vergleichbare Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäuser bieten die Datenbanken und die digitalen Marktplätze auf dem Internet einen reichen Fundus an Vergleichsdaten. Privatpersonen als Verkäufer haben damit neue Möglichkeiten zur Hand, den ungefähren Verkehrs- oder Vergleichswert ihrer Liegenschaft zu schätzen. Sowohl Verkäufer als auch Käufer sind damit in einer besseren Position.
Der traditionelle Beruf des Schätzers beziehungsweise Immobilienbewerters ist deshalb zwar nicht gleich grundsätzlich infrage gestellt. Wann immer die leichte Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, wird ihr Fachwissen und ihre qualifizierte Dienstleistung auch weiter von zentraler Bedeutung sein. Das gilt etwa bei erhöhten Anforderungen an die Zuverlässigkeit einer unabhängigen Bewertung, etwa bei Aufteilungen in Erbengemeinschaften oder bei Scheidungen. Erst recht gilt diese Erkenntnis bei komplexen und grösseren Transaktionen. «Wenn ganze Immobilienportfolios oder Anlageobjekte die Hand wechseln, sind die Dienstleistungen von Bewertern weiterhin gefragt, vor allem auch ihr Know-how, um die Parteien bei der Transaktion zu beraten», sagt Thomas Gawlitta von der gleichnamigen Beratungsfirma in Berlin. Gawlitta ist auch Autor des Buches «Digitale Immobilienkommunikation» und befasst sich seit Jahren mit den Konsequenzen der Digitalisierung.
Eine Kultur der Feedbacks
Veränderungen sind weiter dadurch zu erwarten, dass Mieter, Käufer oder ganz allgemein Nutzer von Flächen und Dienstleistungen aus dem Immobilienbereich künftig mehr Feedbacks und Leistungsbeurteilungen abgeben können. So wie Airbnb oder Tripadvisor aufgrund von Kundenempfehlungen oder -kritiken bereits seit geraumer Zeit im Beherbergungs- und Tourismussektor eine beträchtliche Marktmacht entfalten, wird sich die Immobilienszene analog auf solche Veränderungen einstellen müssen.
Das erhöht zum einen den Druck auf alle Anbieter und Dienstleister in der ganzen Wertschöpfungskette von Immobilien, eröffnet aber in einem konstruktiven Sinn zugleich neue Perspektiven: Je mehr Daten über die tatsächlichen Wünsche, Bedürfnisse und Qualitätseinschätzungen verfügbar sind, umso zuverlässiger können die Leistungen und Produkte der Nachfrage angepasst werden. Im Bau- und Immobilienbereich sind solche Innovationen gerade deshalb besonders wertvoll, weil von der ersten Ideenskizze für ein unbebautes Grundstück bis zum Bezug einer Wohnung oft Jahre verstreichen.
Wohnungsbau «on demand»
Gut fundierte Kenntnisse über die Nachfragetrends und die jeweiligen Bedürfnisse auf dem Markt leisten letztlich einen Beitrag, um falsch ausgelegte oder falsch positionierte Angebote zum Vornherein zu vermeiden. In Kombination mit den anfangs erwähnten neuen Technologien der Darstellung und Inszenierung – fast perfekte 3-D-Ansichten von Wohnungen und Häusern – bieten sich der Planungs- und Immobilienbranche neue Ansätze der Produktgestaltung und -positionierung. Aufgrund virtueller Rundgänge wird der Mieter bzw. der Käufer künftig eine gute Grundlage haben, um sein «Traumobjekt» schon im Voraus erleben und gestalten zu können. Damit wäre auch so etwas wie eine Wohnungsproduktion «on demand» in Zukunft möglich.
* Abschrift eines NZZ Artikels vom 27.5.2015 von Jürg Zulliger