Immobilienmarkt: Quo Vadis?

Eine Einordnung der aktuellen Entwicklungen von Claude Ginesta.

Der Immobilienmarkt ist in den letzten zwei Jahren regelrecht galoppiert und in manchen Marktregionen wurden Preissteigerungen von 10 bis 15% notiert – pro Jahr. Dabei gab es keine Region und kein Produkt, die nicht gestiegen sind. Da stellt sich die Frage, welche Faktoren für diese enormen Preisexzesse verantwortlich sind und ob diese Entwicklung so weitergeht.

 

Covid und Minuszinsen als grösste Brandbeschleuniger

Covid und Home Office haben die Nachfrage nach Immobilien dramatisch erhöht. Die veränderten Wohnbedürfnisse und die neue Flexibilität, den Arbeitsort nach Hause zu verlegen, haben auch periphere Märkte beflügelt. Die Minuszinsen haben dabei beste Schützenhilfe geleistet, dass man die Gelder lieber in nutzbare Sachwerte investieren wollte, als sie auf dem Bankkonto dahinschmelzen zu sehen.

Die Zweitwohnungsinitiative und Covid als toxische Mischung

Die Märkte mit den grössten Preisverwerfungen betreffen die Tourismusregionen. Hier hat die Zweitwohnungsinitative dafür gesorgt, dass von 2014 bis 2019 die letzten Wohnobjekte unter dem alten Recht noch fertiggestellt wurden und das ursprüngliche Überangebot in praktisch allen Regionen bis ins Jahr 2020 absorbiert wurde. Das Tessin und das Wallis haben noch die liquidesten Märkte. In Graubünden und in den Berner Alpen sind die Märkte aber ausgetrocknet. Hier traf die enorme Nachfragesteigerung auf ein Angebot, das sich nicht weiter ausgeweitet hat. Eine Nachfragesteigerung, die sich übrigens aufgrund der Reiserestriktionen und der Möglichkeit des Arbeitens von zu Hause aus vor allem auf inländische Interessenten konzentrierte. Ferien im eigenen Land sind bei den Schweizern und Schweizerinnen beliebt, ein eigenes Feriendomizil begehrt.

Verlierer ist der Erstwohnungsmarkt in Tourismusregionen

Trotzdem wachsen die Tourismusregionen nicht bei Erstwohnungen. Hier ist eine Abwanderung ins Mittelland spürbar. Der Bund hat zudem Kantone mit negativen Einwohnerentwicklungen angewiesen, Baulandreserven auszuzonen, die innert 10 Jahren nicht überbaut werden können. So werden in den nächsten Jahren Baulandreserven dem Erstwohnungsmarkt entzogen. Dieser Erstwohnungsmarkt ist allerdings durchaus auf zahlbaren Wohnraum angewiesen. Weiter ist festzustellen, dass Home Office und Steueroptimierungsmöglichkeiten - die Auszahlung der Pensionskasse ist im Kanton GR bis zu 50% günstiger als in Mittellandkantonen - immer mehr Unterländer dazu bewegen, in die Berge zu ziehen. Sie können von günstigeren Preisen im Vergleich zu einer Zweitwohnungen und meist auch im Vergleich zu einer teuren Wohnung im urbanen Mittellandumfeld profitieren. Die Lokalbevölkerung leidet unter dieser Entwicklung. Sollte man in einigen Jahren feststellen, dass die Zweitwohnungsinitiative bezahlbaren Wohnraum für alle im Alpenraum verhindert hat, könnte man diese mit einer neuen Initiative rückgängig machen. Doch selbst im Falle einer Annahme einer neuen Initiative wäre es dann nicht mehr möglich, Wohnraum für Erst- oder Zweitwohnungen zu schaffen, da die Baulandreserven vom Kanton fein säuberlich eliminiert worden sind. Immerhin kann der Kanton sich darauf berufen, dass wir die Initiativen und Gesetze zur Raumplanung ja auch mal angenommen haben. Ob das Stimmvolk aber wirklich gewusst hat, wie toxisch diese verschiedenen Gesetze und Initiativen zusammenwirken, darf bezweifelt werden.

Wohnraumverknappung in den Städten durch neue Auslegung alter Gesetze

Die neueste Entwicklung betrifft Richter, die alte Gesetze und Verordnungen plötzlich neu auslegen und damit faktisch neue Gesetze und Ausgangslagen schaffen. Eine sehr fragwürdige Rolle spielen zum Beispiel neue Bundesgerichtsurteile zum Thema Lärmschutz, die dann noch von den Gerichten in Städten wie Lausanne oder Zürich ganz anders ausgelegt werden. Da dürfen Wohnungen in der Limmatstadt nicht gebaut werden, weil die Strasse plötzlich zu lärmig ist. Alleine in der Stadt Zürich wurden mit zwei fragwürdigen Urteilen über 200 neue Wohnungen verhindert. Es wäre begrüssenswert, wenn diese fragewürdigen Bundesrichter demaskiert würden und ihre Urteile öffentlich und kontrovers diskutieren müssten, damit diese Themen in den öffentlichen Diskurs kommen und auf breiter Front ein Bewusstsein entsteht, dass mit solchen Urteilen bezahlbarer Wohnraum verhindert wird. Darum ist nun die Politik gefordert, denn von Links bis Rechts haben alle das gleiche Interesse: Die Stadt gehört allen und dafür braucht es neuen Wohnraum. Darum müssen neue Lärmschutzverordnungen eingeführt werden, die Investoren ermöglicht, dringend nötige Neubauten erstellen zu können.

Falsch verstandene Schutzziele verhindern Neubauten

Weiter wird das Bundesinventar für schützenswerte Ortsbilder ISOS, das ursprünglich nur für Bundesbauten vorgesehen war, nun für ganze Städte als verbindlich bei Neubauten erklärt. Es werden einfach Ortsbilder und damit Altbauten geschützt und nie hatte oder hat jemand die Gelegenheit, zu diesen Schutzzielen Stellung zu beziehen. Es gab auch nie eine Abstimmung über ISOS. Hier hat der Bund ein Bauverhindungskonstrukt ohne das Volk geschaffen. Trotzdem haben die Gerichte die Idee von ISOS aufgenommen und so mit fragwürdigen Entscheiden viele Neubauten verhindert. Denn jeder Einsprecher versucht heute Einsprachen mit ISOS zu begründen und diesen wird leider allzu häufig stattgegeben.

Die gewünschte Verdichtung in den Städten kann daher nicht wie geplant stattfinden. Dies hat bei anhaltend sehr starker Nachfrage bedeutende Auswirkungen auf die Angebotsseite. Die Folge sind sehr deutliche Preissteigerungen, die mit der neuen Mehrwertabgabe bei Aufzonungen noch weiter befeuert werden. Dahinter stehen Beamte und Politiker, die vermeidbar die Kassen von Kanton und Gemeinden auf Kosten des Mittelstands füllen, der sich Wohneigentum bald nicht mehr leisten kann. Ein Missstand, der bis anhin noch kaum öffentlich diskutiert wird und dessen Tragweite sich wohl die wenigsten bewusst sind und ebenfalls von allen politischen Parteien aufgegriffen werden müsste: Bestrafen wir dringend notwendige Aufzonungen mit überhöhten Mehrwertabgaben, ist das ein weiterer Faktor, warum es zukünftig an bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsgebieten fehlen wird.

Ausblick in die Zukunft

Der Immobilienmarkt selber wird sich aller Voraussicht nach weiterhin gut entwickeln. Die oben erwähnten staatlichen Massnahmen beziehungsweise Restriktionen zur Angebotsverknappung, die weiterhin sehr tiefen Zinsen und die grosse Geldvermehrung an Börsen und in Immobilienmärkten geben dem Markt den nötigen Schub dafür. Gemäss Erhebung einer Grossbank können sich aktuell nur noch 7% der Käufer mit ihrem Lohn eine Immobilie im Raum Zürich leisten. Um das nötige Eigenkapital für private Immobilien trotzdem aufzubringen, werden offenbar bis zu 80% Erbvorbezüge und Erbschaften genutzt. Entsprechend findet in den nächsten Jahren ein grosser Vermögenstransfer zu einer jüngeren Generation statt, die selbst auf hohem Preisniveau die nötige Kaufkraft für Immobilien hat. Auch das auf Kosten des Mittelstandes, der zunehmend aus diesem Markt ausgeschlossen wird. Eine Entwicklung, die langfristig zu einer Veränderung der Gesellschaftsstruktur, einer gesunden Bevölkerungsdurchmischung und des Arbeitsmarktes in den begehrten urbanen Regionen der Schweiz führen wird.

Quelle: Wüest Partner

International gesehen bewegt sich die Entwicklung in der Schweiz im Mittelfeld. Die Preissteigerung betrug zwischen dem 2. Quartal 2020 und 2021 rund 7.5% bei privatem Eigentum. In den USA, Schweden oder Australien haben sich die Preise in dieser Zeit um fast 20% erhöht. Diese Märkte haben also das grösste Risiko eines Rückgangs. In der Schweiz ist zudem keine Spekulation vorhanden, denn die vorhandenen Landreserven und die langen Bewilligungsverfahren lassen keine «Produktion auf Halde» zu, wie man das in Märkten mit unendlichen Landreserven vor allem in Boomzeiten verfolgen kann.

So läuft bei uns trotz grosser Rasanz die Entwicklung gut schweizerisch etwas moderater ab als anderswo. Was uns zu Gute kommen wird, wenn sich der eine oder andere preisbestimmende Faktor ändert. Und dunkle Wolken sind schon lange am Horizont sichtbar.

Hier die wichtigsten Ereignisse, die den Markt bremsen und vielleicht sogar in eine Abwärtsbewegung bringen könnten:

  • Geopolitische Ereignisse wie (Handels-)Kriege oder ein Auseinanderfallen der EU.
  • Neue Finanzkrise aufgrund weltweiter Verschuldungskrise.
  • Die Zinsen in der Schweiz steigen sehr rasant um mindestens 1.5%. Wobei man die ersten 0.75% gar nicht spüren würde. Zudem sind 90% der Hypotheken mit langfristigen Zinsen abgesichert, was einfach zu einer zeitlichen Verschiebung und Staffelung der daraus resultierenden Probleme führen würde.
  • Staatliche Regulierungen wie im Jahr 2013, als die Nationalbank die Kreditrichtlinien verschärft hat.

Im Sinne der Zyklus-Theorie müsste der Markt nach einem ununterbrochenen Aufschwung seit 1995 auch einen Abschwung vollziehen. Zudem hat die Immobilienteuerung keine Korrelation mit der effektiven Teuerung, die von 2011 bis 2021 bei -0.1% lag.

Quelle: Wüest Partner

Vorderhand treiben aber die Minuszinsen die Anleger weiter an, die Gelder in Sachwerte, Kryptowährungen oder Aktien zu investieren. Diese Märkte sind infolge der expansiven Geldpolitik der Nationalbanken «staatlich gefördert». Selbst die Nationalbank hat heute eine Art «Staatsfonds» geschaffen, der von der Grösse mit zirka einer 1000 Mrd. Schweizer Franken mit dem Hypothekarmarkt 2020 mit CHF 1’138 Mrd. zu vergleichen ist. Ein Grund, warum die Nationalbank vermutlich nicht aktiver in den Immobilienmarkt eingreift: Sie hat sich mit ihrer expansiven Geldpolitik selbst zum Systemrisiko gemacht.


Quelle: Wüest Partner

Quelle: Wüest Partner

Zum Schluss der Blick in die Glaskugel

Verkäufer freuen sich auch 2022 über die erzielbaren Preise. Wer sich den Kauf von Wohneigentum oder eines Feriendomizils leisten kann, ist beim aktuellen Niedrigzinsumfeld wohl weiterhin gut beraten, sein Geld in eine Sachanlage zu investieren. Und wer sich fragt, ob und wie er sich zukünftig Wohneigentum oder auch die Miete in einem der Ballungsgebiete leisten kann, dem empfehle ich, die Augen und Ohren zu schärfen für die staatlichen, kantonalen und lokalen Entscheide, neue Gesetze und Abstimmungen, die für mehr oder weniger Wohnraum sorgen. Das Thema ist wichtig, betrifft uns alle und die Zeit ist reif, den öffentlichen Diskurs auf breiter Front zu starten und sich einzumischen. Vor allem allen Zürcherinnen und Zürchern lege ich dazu die zusätzliche Lektüre meines Artikels zum Thema, mit welchen Mitteln der Mittelstand aus der Stadt vertrieben wird nahe.