Wie der Mittelstand aus der Stadt Zürich vertrieben wird 

Eine Einordnung der aktuellen Entwicklungen 

von Claude Ginesta

Aktuell wird der Corona-Krise die Stadtflucht des Mittelstandes angedichtet. Das ist aber unter Anbetracht der diversen Einflüsse auf diese Entwicklungen deutlich zu kurz gegriffen. Es ist höchstens das letzte Tröpfchen ins schon volle Fass der städtebaulichen Fehlentscheide. Das grün-rote Forcieren des subventionierten Wohnungsbaus legt Investoren Steine in den Weg. Denn wenn das Bauen neuer Mietwohnungen erschwert wird und ein Drittel der Wohnung staatlich kontrolliert ist, wird es zwangsläufig knapp mit bezahlbarem Wohnraum für den Mittelstand, welcher weder von Subventionen profitieren kann noch reich ist.

Staatliche Eingriffe in den Immobilienmarkt – oder wie man nichts aus Erfahrungen lernt.

In Genf gibt es den umstrittenen Sozialwohnungszwang. In Berlin hat man mit einem Mietzinsdeckel versucht, den Markt zu beeinflussen, was aber rückwirkend vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde.  Und was tut Zürich? Leider immer mehr Einfluss auf den Immobilienmarkt nehmen. Und zwar genau so, dass die grösste Stadt der Schweiz sich selber in eine Wohnraumknappheit für ihre Bürger und besonders den Mittelstand bewegt. Dieser wird aus der Stadt verdrängt. Die wichtige Basis für langfristige Steuersicherheit, Ausgeglichenheit und Attraktivität der Stadt ist in Gefahr. Zeit also, einen Blick auf die Mosaiksteine dieser unheilvollen Entwicklung zu werfen.

Faktor Nr. 1: Man erschwert die Erstellung von neuem Wohnraum.

Auch wenn seit dem Jahr 2000 die Wohnfläche um 23% gestiegen ist, ist die Trendwende bereits gekommen. Während 2018 noch 3‘380 Wohnungen erstellt wurden, waren es 2020 nur 1‘772. Ein Grund dafür ist, dass Grossprojekte von der Stadt nur noch dann gutgeheissen werden, wenn sie einen Anteil Sozialwohnungen vorsehen. Was die Investoren «Erpressung» nennen, nennt der Stadtrat «wollwollende Prüfung und Förderung von neuen Bauvorhaben».

Egal, wie man es nennen will, Bauen ist in Zürich keine einfache Angelegenheit. Denn weiterer einschränkender Faktor für eine gesunde Bautätigkeit ist die Tatsache, dass in der Bauzonenordnung dem Schutzregister ISOS eine stärkere Bedeutung beigemessen werden soll. Dieses inventiert nicht nur einzelne Bauten, sondern ganze und für schützenswert erachtete Ortsbilder der Schweiz, von denen es in Zürich viele Gebiete gibt. Das erschwert die Erneuerung bestehender Bausubstanz oder kann angedachte und dringend notwenige Aufzonungen blockieren oder gar verhindern. Der Heimatschutz hat die Stadt Zürich sogar die Inkraftsetzung der aktuellen BZO mittels Blockade erpresst: Während man ISOS bisher für Bundesbauten beachten musste, soll in jeder neuen BZO diesem Schutzregister eine viel stärkere Bedeutung bzw. einer Berücksichtigung bei der Planung beigemessen werden. Auch die Gerichte beachten ISOS zusehends, obschon über dieses ISOS nie eine Volksabstimmung stattgefunden hat oder man das gesetzliche verankert hätte. ISOS kommt von Bern und kein Eigentümer konnte sich gegen einen Eintrag bisher zur Wehr setzen.

Entscheidet man sich trotz dieser Widrigkeiten zur Eingabe eines Baugesuches, braucht es viel Geduld und ein dickes Fell. Denn die Stadt verzögert die Bewilligung von Bauvorhaben und viele Bewilligungen sind aktuell deutlich länger in Prüfung. Da kann ein Gesuch auch erst nach neun anstelle der üblichen drei Monaten beantwortet werden. Gibt es Probleme oder einen Rekurs, ziehen dann auch einmal zwei weitere Jahre ins Land und wenn dann die Stadt die Bauherren wieder mit fragwürdigen Bauentscheiden abtadelt, wird man nach weiteren 3-8 Monaten Wartezeit in die nächste Klausur geschickt. Wo andere Städte, wie zum Beispiel Uster, ein „New Public Management“ pflegen und die Bauherren vorgängig und rasch anrufen, um auf mögliche Probleme vor dem Bauentscheid aufmerksam zu machen, wird in Zürich lieber ein fragwürdiger Entscheid gemacht. Zudem wird Corona als Grund für Verzögerungen vorgeschoben. 

Meint man, einen Schritt weiter zu sein, kommt dann noch die Frage nach dem Lärmschutz. Oder wie es die NZZ 2020 treffend formuliert hat: «In der Art, wie der Lärmschutz heute gesetzlich geregelt und neuerdings von den Gerichten interpretiert wird, dient er lediglich als Instrument, um Wohnbauten in städtischen Gebieten zu verhindern. Damit werden auch sinnvolle Lösungen praktisch verunmöglicht.» Da wundert es insgesamt wenig, ist die Anzahl der eigentlich dringend nötigen neuen Wohnungen in nur zwei Jahren fast um die Hälfte gesunken.

Faktor 2: Der Gewinn von Wählerstimmen ist wichtiger als Wohnraum für den Mittelstand.

Heute sind bereits 27% der Mietwohnungen der Stadt nicht gewinnbringend vermietet. Der Stadtrat plant diese Quote auf einen Drittel zu erhöhen. Damit wird der Wohnraum knapp für den Mittelstand, welcher nicht von Verbilligungen profitieren kann und sich auf dem freien Markt eine Wohnung suchen muss. Weiter werden Grossprojekte nur mit Sozialwohnungen gebilligt. Der Plan der Sozialregierung ist klar: Man möchte die Gunst der Wähler gewinnen, welche diese Politik weiter unterstützen. Dabei hilft jeder Mieter mit, welcher in einer verbilligten Wohnung wohnen darf. Nebst den geplanten Sozialwohnungen von 33% sind aktuell noch rund 10% als Stockwerkeigentumseinheiten oder selbstbewohnte Einfamilienhäuser in der Stadt vorhanden. Mit anderen Worten hat der Mittelstand nur Zugriff auf 57% der Wohneinheiten in der Stadt. Und bei diesen freien Objekten spielt der Markt, was für den Mittelstand zusehends unerschwinglich wird. Mit der städtisch verordneten Verknappung muss man kein Hellseher sein, um zu erahnen, wie die weitere Preisentwicklung sein wird.

Also eine Entwicklung, die wenig Gutes verheisst und zu einer gesellschaftlichen Veränderung in der Stadt führen wird, die aus keiner Sicht begrüssenswert ist. So muss der Masterplan der aktuellen Sozialregierung, die in jedem Mieter einer verbilligten Wohnung auch einen Wähler sieht, kritisch hinterfragt werden. Denn langfristig wird er zu einer eigenartigen Verzerrung in der Bevölkerungs-durchmischung und zu Steuereinbussen führen. Wenn die Chance auf eine günstige Wohnung steigt, indem man seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit reduziert, ist das ein für die Stadt Zürich fragwürdiger Anreiz.

Faktor 3: Die Politiker gehen noch einen Schritt weiter in die falsche Richtung.

Die systematischen Eingriffe von städtischer Seite in den Immobilienmarkt werden noch deutlich weiter gehen. Weiter ist die Entscheidung geplant, ob dem Begehren des Stadtrats, bei Neubauten einen Mindestanteil an günstigen Wohnungen einzuplanen, stattgegeben werden soll. Was zum Beispiel bei einer Aufzonung oder einer Arealüberbauung mit Mehrausnützung zur zwingenden Vorgabe wird und dort nur preisgünstige Wohnungen erstellt werden können. Die Vorgaben zur Vergabe dieser Wohnungen sind dann die Regel «Zimmer - 1 = Mindestanzahl Bewohner» und auch die Einkommens- und Vermögens-verhältnisse der Bewerber müssen genau geprüft werden. Damit wird die Stadt zu Big Brother und wer als junger Mensch zum Beispiel im Beruf befördert wird, muss damit rechnen, aus seiner Wohnung ausziehen zu müssen.

Kreativ mutet ein weiterer Vorstoss des Gemeinderates an, der vor einigen Wochen zum Richtplan der Stadt besprochen wurde und das Bauen zusätzlich erschweren würde: Man möchte zukünftig private Innenhöfe, Gärten und Dachlandschaften öffentlich zugänglich machen. Ein pikanter Eingriff in die Eigentumsrechte, der die Gerichte wohl beschäftigen wird und ebenfalls mit Sicherheit nicht zu reger Bautätigkeit attraktiver Wohnungen in der Stadt Zürich führen wird. Die aktuellen Sommersperrungen einiger Quartierstrassen sollen diese vom Verkehr befreien, auch wenn die umliegenden Strassen dadurch mit mehr Lärm und Verkehr belastet werden. Denn die steigende Lärmbelastung wurde als baureduzierende Konstante identifiziert und auch auf Hauptverkehrsachsen sollen 30er Zonen eingeführt werden. Dass das Auto planerisch aus der Stadt verbannt werden soll, zeigt auch die steigende Anzahl an Wohnbauten, die nicht einmal mehr einen Parkplatz pro Wohnung aufweisen dürfen.

Faktor 4: Machen wir es Investoren noch ein bisschen schwerer, bitte.

Das Gesetz zur Mehrwertabgabe für Um- und Aufzonungen ist derzeit in Arbeit und sieht vor, dass in der Stadt Zürich entgegen dem kantonalen Mindestsatz von 20% das Doppelte, also satte 40% als Abgabe fällig werden sollen. Dieser wird zur Anwendung kommen, wenn nach einer Arealüberbauung oder einer Aufzonung die Mehrausnützung realisiert wird.

Die grosse Problematik wird sicher die Berechnung des Mehrwerts. Wie bereits heute bei der Grundstückgewinnsteuer wird auch diese neue Steuer zu allerlei Unstimmigkeiten und Unfairbehandlungen führen. Die Immobilienentwickler werden mehr als einmal überlegen, ob sie ihre nächste Renditeliegenschaft in der Stadt oder doch lieber woanders erstellen wollen. Was sicher gesagt werden kann ist, dass diese Regelung nicht zu attraktiven Mieten für den Mittelstand beitragen wird. Auch um zu diesem Schluss zu kommen, muss nach nicht studiert haben. Zudem ist die Situation unklar, wie es sich verhält, wenn anstelle Mietwohnungen Stockwerkeigentum gebaut wird.

Das düstere Fazit: 

Die Preisspirale nach oben ist mit all diesen beschlossenen und geplanten Massnahmen bei Miet- und Eigentumswohnungen in der Stadt Zürich vorprogrammiert. Der Mittelstand wird sich Wohneigentum nicht mehr leisten können und so verbleiben die Geringverdienenden mit den staatlich subventionierten Wohnungen mit den reichen Privilegierten in der Stadt. Ein öffentlicher Diskurs zu diesem Thema ist dringend nötig. Denn eigentlich müsste ein Aufschrei durch den Mittelstand gehen.

Zum Schluss noch die gute Nachricht: Auch wenn bereits vieles in eine falsche Richtung geht: Es ist noch nicht vollends zu spät, durch Einmischung und entsprechenden Entscheiden an der Urne das Ruder herumzureissen und dafür zu sorgen, dass Zürich eine Stadt für alle bleibt.