Immobilienspezialist Sascha Ginesta ist ein Befürworter der Gemeindeautonomie. Probleme im Kleinen könnten auf dieser Stufe gelöst werden. Trotzdem braucht es auch kantonal oder regional Instanzen, die sich der Problematik annehmen. 

von Reto Stiefel

Engadiner Post: Die Problematik des knappen Wohnungsbestands für Einheimische wurde schon vor einem Jahr diskutiert. In diesem Jahr hat sich das akzentuiert, war das zu erwarten?

Sascha Ginesta: Ja, und ich sehe unterschiedliche Gründe, die dafür verantwortlich sind. Zum einem haben die Betriebe investiert, beispielsweise die Hotellerie. Das braucht mehr Personal und demzufolge zusätzlichen Wohnraum. Zum anderen spielt Corona eine Rolle. Wir hatten in den Tourismusregionen viele Zuzüger aus dem Unterland zu verzeichnen, was die Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt verstärkt hat. Auch haben wir festgestellt, dass wegen Corona vermehrt Wohnungen als Zweitwohnungen dauervermietet wurden. Kommt hinzu, dass Wohnungen, die bisher vermietet worden sind, in Ferienwohnungen umgewandelt wurden.

Die Gemeinden gehen das Problem oft alleine an. Müsste es nicht regional gelöst werden?

Grundsätzlich halte ich sehr viel von der Gemeindeautonomie. Jede Gemeinde hat eine andere Problemstellung. Dass die Gemeinden im Kleinen versuchen, ihr Problem zu lösen, ist richtig. Aber ich bin auch überzeugt, dass es eine Stufe höher, sei es auf Ebene der Region oder des Kantons, Stellen benötigt, die sich dieser Problematik annehmen. Konkret beim Kanton geht es um die Berechnungsgrundlage des Bauzonenbedarfs. Stichwort Ein- und  Auszonungen. Das ist ein Problem, das die Gemeinden nicht selber lösen können. Gewisse Themen müssen grossräumi ger angegangen werden. Die Gemeinden in der Region, die Baulandreserven haben, sollten das untereinander abstimmen. Es macht keinen Sinn, in jeder Gemeinde das Gleiche zu bauen. Es braucht ja nicht nur Personalwohnungen, sondern auch Familienwohnungen. Die eine Gemeinde ist da besser aufgestellt als die andere. Auch die Frage, ob eine Gemeinde selber baut, ob es Investoren sind oder eine Genossenschaft, kann grossräumiger gedacht werden. 

Genossenschaften waren bis vor kurzem im Engadin nur am Rand ein Thema. Jetzt hört man immer wieder von Gemeinden, welche sich Genossenschaften als Investoren oder Bauträger vorstellen könnten. Ist das ein vielversprechender Weg?

Historisch haben die Wohnbaugenossenschaften ihren Ursprung darin, dass beispielsweise die SBB oder die Post Land hatte, welches sie in eine Genossenschaft eingebracht haben, um ihren Mitarbeitenden Wohnraum zu erstellen. Oder man kauft sich in eine Genossenschaft ein und kann dafür eine Wohnung kaufen oder mieten. Das ist nicht ganz unproblematisch bei anstehenden grösseren Investitionen, wenn bei fehlenden Reserven die Genossenschafter für die Finanzierung aufkommen müssen. Persönlich finde ich Genossenschaften besser, in die jemand Geld oder Land stiftet, um es zweckgebunden einzusetzen. Beispielsweise, wenn eine Gemeinde ein Grundstück in eine Genossenschaft auslagert, und dieses dann im Auftrag der Gemeinde bebaut. So bleibt die Kontrolle über die Statuten und Mietreglemente bei der Gemeinde. Wenn das Grundstück an einen Investor verkauft wird, hat man diese Möglichkeit nicht mehr. 

Ein kurzer Blick auf den Zweitwohnungsmarkt: Eine grosse Nachfrage trifft weiterhin auf ein kleines Angebot. Wie geht es weiter?

Effektiv ist die Nachfrage schon nach der ersten Corona-Welle gesunken und jetzt, mit den steigenden Zinsen, ist sie weiter zurückgegangen. Einflüsse wie der Absturz der Kryptowährungen oder sinkende Börsenkurse führen ebenfalls dazu, dass momentan etwas weniger Geld im Markt ist, was auf die Nachfrage drückt. Aber verglichen mit der Vor-Corona-Zeit ist die Nachfrage immer noch viel grösser. Das zweite Problem ist, dass es kein Angebot gibt. Es kommt so gut wie nichts auf den Markt. So kann es auch zu keiner Preiskorrektur kommen. Wir sehen keine Trend wende bei den Preisen. Da müsste schon etwas sehr Gravierendes passieren, damit viele Wohnungen oder Liegenschaften auf den Markt kommen oder die Nachfrage komplett einbricht.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde jede Wohnung quasi blind gekauft. Das zumindest hat sich geändert?

Durchaus. Vor einem Jahr konnten wir etwas salopp gesagt, praktisch alles verkaufen, ohne dafür etwas gross tun zu müssen. Heute muss man sich wieder überlegen, wie man eine Wohnung oder eine Liegenschaft auf dem Markt richtig positioniert. Das macht den Job auch für unsere Immobilienberatenden wieder spannender. Wenn man mich vor vier Jahren gefragt hätte, wie lange es dauert, um eine Immobilie zu verkaufen, hätte ich gesagt, sechs bis neun Monate. Das war der übliche Zeithorizont. In den letzten beiden Jahren ist diese Zahl auf unter zwei Monate gefallen, was auch nicht gesund für den Markt war. Ich denke, jetzt kommen wir langsam wieder in ein gutes Gleichgewicht.

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